Leben/Gesellschaft

Mentales Fasten: So führt Glück zu Erfolg

Eine Deadline jagt die nächste, täglich ist eine Flut an eMails zu bearbeiten und dazu herrscht ständige Anspannung: Stress ist unausweichlich, wenn man Erfolg haben will. Ständige Überlastung ist normal. Wo doch nach wie vor das lapidare Mantra gilt: Ohne Fleiß kein Preis. Auf der anderen Seite dieser Erfolgsmedaille machen sich bei vielen Gesundheitsprobleme bemerkbar – körperlich und psychisch bis hin zum Burn-out.

Eingefahrene Glaubenssätze entsorgen

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Können alte, eingefahrene Muster heute tatsächlich noch der richtige Weg zum Lebensglück sein? Die Psychologin Emma Sepällä ist überzeugt: Auf dem Weg zum Erfolg ist weniger mehr. "Forschungen haben gezeigt, dass Glück nicht das Resultat, sondern vielmehr der Wegbereiter des Erfolgs ist. Gängige Leitsätze schränken ein", schreibt sie in ihrem aktuellen Buch "Der Trick mit dem Glück". Die wissenschaftliche Leiterin des Zentrums für Mitgefühl und Altruismusforschung" an der renommierten Stanford University in den USA beschäftigt sich mit Glück und Erfolg. Und damit, warum nach außen "erfolgreiche" Menschen ihre Gesundheit häufig ruinieren.

Lebensdomänen zwischen Arbeit und Privatem

Im Leben von mehr und mehr Arbeitnehmern wird die Grenzziehung zwischen Arbeit und Privatem durch die Auflösung fixer Arbeitszeiten zunehmend schwierig. Völlig voneinander losgelöst sind die beiden Lebensbereiche freilich nie zu sehen, betont Univ.-Prof. Jürgen Glaser von Institut für Psychologie an der Universität Innsbruck. Der schon etwas überstrapazierte Begriff "Work-Life-Balance" sollte sollte treffender durch "Work-Domain-Balance" ersetzt werden. "Wir alle leben in verschiedenen Lebensdomänen und mit den damit verbundenen Rollen(erwartungen). Arbeit ist immer ein wichtiger Teil des Lebens und nichts davon Abgetrenntes."

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Für Glaser wird die Verantwortung von Arbeitgebern und Gesellschaft zu wenig berücksichtigt. "Häufig fehlt das Bewusstsein dafür, was etwa ‚ständige’ Erreichbarkeit durch neue Technologien mit den Beschäftigten macht. Es wird stillschweigend erwartet, dass die Mitarbeiter leistungsfähig bleiben." Er glaubt, dass ein Umdenken nötig ist. Im Rahmen der Fürsorgepflicht von Arbeitgebern gehöre es etwa auch dazu, die Mitarbeiter familienfreundlich und partnerschaftlich zu unterstützen anstatt immer nur mehr und mehr zu fordern. Das fördere nicht nur deren Gesundheit, sondern auch die Motivation und Leistungsbereitschaft. "Der zentrale Punkt ist die erlebte Autonomie. Der Einzelne sollte ein Gefühl der eigenen Kontrolle und Mitsprache haben – etwa bei Möglichkeiten, Arbeitszeit oder -ort flexibel zu gestalten."

Radikal umdenken

Sepällä fordert ein radikales Umdenken bei gängigen Erfolgsstrategien. Gerade das Nichtstun – in Form von Innehalten und Ruhe – sind ein wichtiger Schlüssel für mehr Kreativität. Ruhe, Stille und Spaß sind die überraschenden Eckpunkte, die erst die nötigen Räume für kreative Geistesblitze eröffnen. Tatsächlich verschreiben sich erfolgreiche Menschen nicht ausschließlich ihren Fachgebieten, sondern lassen auch Raum für Müßiggang. Albert Einstein hörte etwa vorzugsweise Mozart, wenn er bei komplexen Problemen Inspiration suchte. Wirtschaftsnobelpreisträger Mylos Scholes praktiziert täglich Atemübungen und meditiert.

In einer Zeit von Hektik und Ungewissheit sehnen sich die Menschen intuitiv nach mehr Ruhe, das spiegelt sich sogar in den aktuellen Trendwörtern wider (siehe unten). Schon vor 25 Jahren rief die US-Trendforscherin Faith Popcorn "Cocooning" (Rückzug ins Private) als großen Trend aus. Dann kam irgendwann "Wellness". Und derzeit gilt "Achtsamkeit" als "Kultbegriff", schreibt Oona Horx-Strathern im "Zukunftsreport 2017".

Still sein

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Möglichkeiten für mehr innere Ruhe und Ausgeglichenheit gibt es zahlreiche. Ob man auf Achtsamkeit, bewussten Rückzug, Entschleunigen, Meditieren oder Wanderungen und Spaziergänge in der Natur setzt: Zeit zum Innehalten ist damit das Gegenstück zum ständigen Bewegt-Sein im 21. Jahrhundert geworden. Die Forscherin Emma Sepällä sieht als Gegenstück zur Arbeitswelt überhaupt Stille als Kontrasprogramm: "Statt uns auf etwas zu konzentrieren, schalten wir einmal völlig ab."

Körperlich gesehen haben diese bewussten Stille-Pausen den größten beruhigenden und entspannenden Effekt, belegen Studien.

Eine 2015 im Fach-Magazin Brain Structure and Function erschienene Untersuchung belegte etwa, dass Stille "trotz ihrer Leere" bei der Entwicklung neuer Gehirnzellen helfen kann. Sich Zeit für Leerläufe freizuschaufeln, erhöhe nicht nur das seelische Wohlbefinden, sondern auf Dauer auch den Erfolg.

Egal, ob im Büro, abends auf der Couch oder zwischendurch in U-Bahn, Bus oder im Auto an der Kreuzung, bevor die Ampel auf Grün springt: Die modernen Technologien verbinden uns zu jeder Zeit mit jedem Ort auf der Welt. Das verursacht auch Stress. Weil wir mittlerweile darauf konditioniert sind, ständig unsere Mails am Smartphone zu checken oder die neueste Twitter-Nachricht zu retweeten.

Doch kein Trend, wo sich nicht ein Gegentrend formiert. Zumindest finden sich unter den von Matthias Horx’ „Zukunftsinstitut“ für 2017 als Trend-Wörter definierten Formulierungen überraschend viele, die auf Rückzug, Innehalten und Reduktion Bezug nehmen:

Monotasking Das Pendant zu Multitasking, das ohnehin immer mehr infrage gestellt wird. Gemeint ist, nur eine Sache zu machen, die aber mit aller Kraft.
OMline Das Wort beschreibt einen Zustand, in dem digitale Medien so genutzt werden, dass sie Geist und Seele guttun.
iBreak Damit wird die Pause vom „i-Wahn“ beschrieben – also keine Mails und Apps checken und dafür mehr Kontakte in der „echten“ Welt pflegen.
Screen Fatigue Bildschirmmüdigkeit und damit das Abschalten von Bildschirmen aller Art wird zum Trend.