Leben/Gesellschaft

Mehr Humus

Was ist nun das Besondere an einem Chinakohl, wenn er auf einmal "Klimakohl" heißt und bei "Spar" im Verkaufsregal liegt? Die Antwort: Es handelt sich immer noch um einen der ursprünglich aus China stammenden Gemüseköpfe, die aus der heimischen Küche nicht mehr wegzudenken sind, doch dieser zeichnet sich durch besondere Herkunft und Produktionsweise aus. Ein Pickerl auf der Verpackung mit der Aufschrift "Humus. Ökoregion Kaindorf" weist darauf hin. Durch den Verkauf von Gemüse und Obst, das diese Kennzeichnung trägt, wird ein Pilotprojekt unterstützt, an dem sich seit 2007 sechs Gemeinden in der oststeirischen Region um Kaindorf, im Bezirk Hartberg, beteiligen. 200 Landwirte, darunter auch einige außerhalb der Region, sind auf fast 1000 Hektar Anbaufläche unter wissenschaftlicher Begleitung der Universität für Bodenkultur in Wien und des Austrian Institute of Technology (AIT) in Tulln mit einem Experiment zugange, das zum Ziel hat, die ganze Region als Klimaschutz-Modell auszuweisen. Bis 2020 will man eine CO2-neutrale Klimabilanz erreichen.

Das Herzstück dieses Vorhabens bildet der Schwerpunkt Landwirtschaft und Humus-aufbau, denn "Humus ist der beste Klimaschutz", sagt der Biologe Gerald Dunst, der Leiter dieses Arbeitskreises. Bis zu 50 Tonnen klimaschädigendes CO2 kann ein einziger Hektar humusreiches Ackerland pro Jahr binden. Zudem werden Böden durch Humus fruchtbarer, gesünder und ertragreicher.

Folgeschäden

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In den letzten Jahrzehnten wurde allerdings weltweit keineswegs humusaufbauend, sondern "humuszehrend" gearbeitet, die Humusreserven wurden durch zu tiefe Bodenlockerung, durch Monokulturen und vor allem durch Pestizide und synthetischen Handelsdünger deftig reduziert. "Kunstdünger", sagt Gerald Dunst, "bringt das biologische Gleichgewicht durcheinander." Wenn die Pflanze ein Überangebot an Stickstoff zur Verfügung hat, kann sie sich "überfressen". In der Folge investiert sie alle Kraft ins Wachstum und vernachlässigt den Aufbau des Immunsystems, das heißt, dass sie nach einem Turbowachstum zu schwächeln beginnt.

Dunst veranschaulicht auch die Auswirkung von Pestiziden beispielhaft. Das Pilzgift, das man gegen die Braunfäule der Paradeiser anwendet, mache zwischen gutem und bösem Pilz keinen Unterschied. Es greife auch jene nützlichen Bodenpilze an, mit denen die Pflanzenwurzeln in Symbiose leben und die für den Humus-aufbau wichtig sind. "Deshalb kommen auch dort, wo nicht Bio gewirtschaftet wird, schon jetzt immer weniger synthetische Düngemittel und Pestizide zum Einsatz", erklärt Gerald Dunst, "weil die Bauern sehen, dass ihnen ein größerer Humusanteil etwas bringt".

Folgekosten

Die Reparaturkosten, die konventionelle Landwirtschaft verursacht, wurden bisher noch kaum kalkuliert. "Man geht davon aus, Luft, Wasser und Boden als gratis zu betrachtet", sagt Dunst, "und auch die monetären Folgen des Humusabbaus werden nicht ernst genommen. Die hat aber dann in der Regel die Gesamtgesellschaft zu tragen."

Modellregion

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Die Kaindorfer wollen zeigen, dass es auch anders geht. Alle am Humusaufbau-Projekt Beteiligten haben sich verpflichtet, innerhalb von zwei bis fünf Jahren den Humusgehalt ihres Bodens um 0,2 Prozent anzureichern. Das entspricht einer gespeicherten Menge von elf Tonnen CO2pro Hektar. Einzelne Landwirte haben auch schon viel mehr erreicht. Humusaufbau geschieht durch Umstellung der Bewirtschaftung auf Kompostwirtschaft, Wintergrünung, Mischkultur und Fruchtfolge auf den Feldern. Statt mit dem Pflug wird der Boden mit Schlitzsaat bearbeitet: Was nach der Ernte stehen bleibt, wird nur niedergewalzt, dann folgt gleich die neue Aussaat. Denn je weniger der Boden bearbeitet wird, desto stabiler bleibt der Humusgehalt.

Als Abgeltung des Mehraufwands, der durch die andere Bewirtschaftung entsteht und für den Dienst an der Umwelt, erhält der "Humusbauer" 30 Euro pro eingesparter Tonne CO2. Da kommen Summen von mehreren Tausend Euro zusammen, wie das Foto von der Übergabe der Schecks zeigt. Finanziert wird die Abgeltung durch einen Zertifikatshandel mit regionalen umweltbewussten Betrieben, die damit ihre Dienstleistungen oder Produkte als CO2-neutral anbieten können. Einen Klimaschutzpreis 2012 hat das der Ökoregion schon eingebracht.

www.oekoregion-kaindorf.at

  • Treibhausgase: Der Biolandbau spart nicht nur große Mengen an Treibhausgas-Emissionen ein, vor allem bindet sein hoher Humusanteil große Mengen von im Boden. Würden alle Ackerflächen Österreichs auf Bio umgestellt werden, könnte jene Menge an eingespart werden, die ein Lkw bei etwa 31.200 Äquatorumdrehungen freisetzen würde.
  • Bodenleben: Der Regenwurm ist das bekannteste der Lebewesen, die für einen gesunden Boden unabdingbar sind. Sein Kot, von dem bis zu 100 Tonnen pro Hektar im Jahr produziert werden, ist die Basis für einen krümeligen und stabilen Boden. Neben ihm sind aber noch Unmengen anderer unterirdischer Lebewesen dafür tätig: Von einem Hektar Boden ernähren sich bis zu 25 Tonnen lebender Organismen, das entspricht einem Gewicht von 30 Kühen. Diese im Verborgenen lebenden „Nutztiere“ gilt es durch Bewirtschaftungsmaßnahmen zu „füttern“ und zu fördern. Ihr größter Feind ist die Agrochemie: Pestizide und synthetische Dünger greifen störend in dieses natürliche System ein.
  • Wasser: Gesunder Boden kann deutlich mehr Wasser speichern als intensiv bewirtschaftete Flächen. Ein fruchtbarer Bioboden saugt starke Platzregen auf wie ein Schwamm, bis zu 200 Liter Wasser pro Quadratmeter. Die flächenmäßige Ausdehnung des Biolandbaus ist somit gleichbedeutend mit aktivem Hochwasserschutz.

    Quelle: FIBL Österreich