Leben/Gesellschaft

Was gute Lehrer ausmacht und warum PISA nicht weiterbringt

Die Schule von Margret Rasfeld ist ein Wallfahrtsort: Engagierte Pädagogen und Eltern pilgern in die evangelische Schule Berlin, um zu sehen, wie Schule funktionieren kann. Frontalunterricht gibt es dort schon lange nicht mehr. Die Schüler lernen dort nach ihrem Tempo, wobei es den klassischen Stundenplan nicht mehr gibt. Mehr noch: Den Schülern wird nicht nur bloßes Wissen vermittelt. Sie werden auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gestärkt. Im Juli ist Rasfeld beim Dialogikum im Pielachtal.

KURIER: Ihre Schule in Berlin ist so innovativ, dass viele zu Ihnen pilgern, um sich das Konzept anzuschauen.

Margret Rasfeld: Das freut mich natürlich. Ich engagiere mich schon seit Jahrzehnten für die Schulreform. Dass jetzt viele Lehrer, Direktoren und Eltern eine Neuerung wollen, zeigt deutlich, dass die Zeit reif ist.

Welche Änderungen im Schulsystem wollen die Menschen?

Erstens, dass es den Kindern gut geht. Wir sind ja in allen Bereichen der Gesellschaft in einem erschöpften Zustand. Wir machen immer mehr vom Alten und fördern immer früher.Wir hören auf Hunderte Ratgeber und verlernen, auf die innere Stimme zu hören.

Zweitens stehen wir vor Problemen wie Klimawandel oder Migration, die nicht lösbar sind, wenn wir nicht neu und quer denken. Unternehmen können ohne Innovationsfähigkeit und Kreativität weder in Österreich noch in Deutschland leben. Doch die Kinder haben derzeit einen Pflichterfüllergeist, weil sie zwölf Jahre durch ein System gelaufen sind, wo sie Aufgaben zugeteilt bekamen und erledigt haben.

Die Neue Mittelschule steht in der Kritik, weil sie nicht die erwünschten Ergebnisse bringt. Was sagen Sie als Direktorin einer Gesamtschule dazu?

Man kann nicht erwarten, dass der Umgang mit der größeren Heterogenität so schnell geübt wird. Außerdem fehlt die Spitze, so lange es parallel das Gymnasium gibt. Schauen Sie sich doch einmal die AHS genau an: Trotz Sortierung haben wir nur eine Spitze von fünf Prozent. Andere Länder sind da besser.

Was sind Erfolgskriterien, dass Schule gelingt?

Eine Haltung der Lehrer und Eltern, die ein Zutrauen in die Schule haben. Lehrer brauchen Wertschätzung und die Möglichkeit, individuelle Wege zu gehen. Und sie brauchen mehr Zeit, die Schule zu organisieren: Lehrer sollten weniger Schüler haben, diese aber länger unterrichten, so dass Beziehung entstehen kann. Was gar nicht geht: Alle, Gleichschritt, marsch! Kinder lernen unterschiedlich, da muss man ein Lernsetting finden, wo sie selbstständig lernen. Das geht nicht, wenn ich 20 Stunden beschallt werde und drei Stunden Freiarbeit habe.

Wichtig für den Lernprozess ist der Lehrer. Was macht gute Pädagogen aus?

Er ist von seinem Fach begeistert und zwar so, dass er es schafft, den Stoff so interessant darzubieten, dass die Kinder es zu ihrem machen. Er muss Kinder mögen, authentisch sein und eine klare Führungsrolle einnehmen. Das zeigt sich im Unterricht schon in den ersten zwei Minuten – die sind entscheidend. Lehrer sollten nicht Fehler suchen, sondern Schatzsucher sein, die schauen, was die Kinder gut können. Viele haben schlechte Lernerfahrungen gemacht, der Lehrer muss den Schüler da herausholen.

Welche Rolle kommt der Direktion zu?

Sie muss ebenfalls Führungsposition beziehen, eine Vision haben und es schaffen, Menschen dahinter zu bekommen. Denn: Wer keine Vision hat, hat keinen Grund, sich anzustrengen. Ist die Vision groß, können die Schritte klein sein. Derzeit wollen wir im Schulsystem das Alte reparieren. Das ist keine gute Energie und die Lehrer sagen: Nicht schon wieder! Aber beteiligt zu sein an einer großen Sache, hat eine große Herzenergie. Leider geht alles, was mit Sinn zu tun hat, verloren, wenn wir Mathe nur für PISA lernen. Dabei brauchen Menschen Sinn – Erwachsene und Kinder.

Was sollten Schüler am Ende der Schule gelernt haben?

Sie sollten wissen, wer sie sind und mutig Dinge anpacken, ohne Angst vor Fehlern zu haben. Weiters: kommunizieren und Empathie entwickeln. Auch Meditation, also wissen, wie man in die Stille kommt.

Und was sollten Schüler inhaltlich wissen?

Dass inhaltlich zu wenig gelernt wird, mache ich mir keine Sorgen. Lesen, Schreiben, eventuell eine weitere Sprache sind wichtig. Daneben wird die digitale Bildung immer bedeutender und die Fähigkeit, selbstständig Inhalte zu erschließen. Mathe reicht das Wissen bis zur 10. Schulstufe. Was darüber geht, sollten nur die machen, die sich dafür interessieren. Auch wichtig: Wirtschaft oder Weltreligionen.

Was halten Sie von zentralen Prüfungen und Vergleichen?

Dass es Bildungsstandards gibt, ist richtig, damit man weiß, wo man hinwill. Nicht gut ist, dass man einen Wettbewerb daraus macht. Von der Zentralmatura halte ich nichts: Multiple Choice hat nichts mit Rechnen zu tun. Und sie nivelliert nach unten.

Angenommen, Sie wären Bildungsministerin, was wäre Ihr erster Schritt?

Einen Thinktank mit Menschen aus vielen Bereichen einrichten. Dann würde ich die Standorte, die etwas unternehmen wollen, besonders unterstützen. Ich würde zehn Laborschulen installieren, die sich öffnen und ihre Erfahrung teilen.

Im Dialogikum kommen Vordenker wie André Heller und Margret Rasfeld zu Wort

Seine Schulerlebnisse waren „ernüchternd“, sagt der Schauspieler Ulrich Reinthaller: „Gefragt war stupides Auswendiglernen. Selbstständig denkende Menschen wollte man offensichtlich nicht.“
Seine Biografie und die grundlegende Liebe zur Philosophie sind für Reinthaller die Motivation, sich mit dem Thema Bildung auseinanderzusetzen. „Bewusstsein und Bildung. Der lernende Mensch in seinem Umfeld“ ist folgerichtig der Titel einer Veranstaltungsreihe vom 8. bis 12. Juli 2015 im Dialogikum Phönixberg in Kooperation mit der Donauuniversität Krems.

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Eingeladen sind Vordenker wie Margret Rasfeld, André Heller oder Jan Teunen, der sich mit dem „Raum als dritten Pädagogen“ befasst. Eine Reihe nicht nur für Lehrer. Termine und Programm finden Sie auf www.dialogikum.at. Tickets im Mostviertel-Tourismus, Tel. 07416/52191.