Weil er als Bub schlimm war, begann Henry zu rennen
Von Heinz Wagner
Als Sechster erreichte Francis Karanja nur etwas mehr als eine Minute hinter dem Sieger David Schneider das Ziel des fünf Kilometer langen fünften Wiener Nachtlaufs. Nur, Francis sieht im Gegensatz zu den fünf vor ihm Platzierten nichts. Der Läufer aus Kenia wurde von DEM Idol blinder Läufer, seinem Landsmann Henry Wanyoike zum Laufen animiert, "begonnen hab ich in der Blindenschule in Thika". Der war auch diesmal in Wien mit dabei und wurde 24.
Wanyoike war als Marathonläufer im Jahr 2000 bei den Paralympics weltberühtmt geworden. Nicht nur, dass er auf der Strecke schon etliche sehende - mit einem Band lose verbundene - "Vor"läufer ob seiner eigenen Geschwindigkeit "verbrauchte", musste er auf der letzten Runde im Stadion - angefeuert und durch Zurufe des Publikums auf den richtigen Weg gebracht - seinen letzten Vormann schultern und über die Ziellinie schleifen - allein zu rennen entspricht nicht den Regeln.
Eine Kuh für jede Familie
Henry, der erst mit 21 Jahren von einem Tag auf den anderen erblindete, war schon als Kind sehr schnell. "Ja, ich war ein ziemlich schlimmer Bub und so bin ich immer entweder meiner Mutter oder der Lehrerin kilometerweit davon gelaufen", gesteht er dem Online-Kinder-KURIER seine ziemlich ungewöhnlichen läuferischen Anfänge.
Nach seiner Erblindung war er zunächst wochenlang praktisch unansprechbar, apathisch, fertig, bis er Mut fasst, seine Lauffähigkeit auch ohne was zu sehen, wieder zu perfektionieren. Gleichzeitig mit seinen ersten Erfolgen begann sich der Läufer auch sozial zu engagieren - für Licht für die Welt, aber auch beispielsweise, um in seinem Heimatslum jeder Familie eine Kuh zukommen lassen zu können. "Ich hab's als Kind gehasst, Porridge mit Wasser aufgekocht so dünn zu essen, und wollte dass die Kinder alle den Haferbrei mit Milch haben können!"
Mehr als 3000 Operationen
Die blinden Spitzenläufer aus Kenia laufen nicht zuletzt deswegen beim Vienna Night Run mit, weil ein Teil des Startgeldes der Hilfsorganisation "Licht für die Welt" zu gute kommt. Heuer kam dabei eine Rekordspende von 91.380 zusammen. Das entspricht mehr als 3000 Operationen am Grauen Star, durch die Menschen in Entwicklungsländern (wieder) sehen können.
Von den schnellen Kenianer lassen sich übrigens auch immer wieder andere blinde Läuferinnen und Läufer ermutigen, teilzunehmen. Thomas Seidling, ein blinder Jusstudent aus Linz bewegte den ORF-Sportmoderator Oliver Polzer zu seiner Premiere als sehender Begleitläufer. Der meinte danach: "Das gemeinsame Laufen war super, obwohl Thomas mir immer wieder davon gelaufen ist und mich letztlich ins Ziel gezogen hat."
Regina Vollbrecht, die schnellste blinde Läuferin weltweit, schaffte den Lauf, geführt vom Kenianer Joseph Kibunja, dem üblicherweise kongenialen Begleitläufer Wanyoikes, in einer Zeit von 22:35 Minuten.