Kiku

Vom Quotensandler bis zu Stöckelschuhen

„Geh Schatzi, mia haum da jetzt an Stromausfall“, entschuldigt sich der im Dialekt fast dauer-handyfonierende Securitymann dafür, dass er jetzt doch wieder was hackeln muss. So gar kein bisschen an seiner Arbeit im Flüchtlingslager interessiert ist der von Moussa Thiewa gespielte Mitarbeiter des privaten Lager-Betreibers ein running Gag im Musical „Traiskirchen“. Die drei Dutzend Mitwirkenden auf der Bühne kommen aus dem KünstlerInnenkollektiv „Die Schweigende Mehrheit“, die sich im Sommer 2015 gebildet hat - rund um die Fluchtbewegung, die sich da in großer Zahl auch in Mitteleuropa bemerkbar gemacht hatte. Geflüchtete, die im Lager Traiskirchen Zuflucht gefunden hatten einerseits und Künstler_innen, die schon lange in Österreich leben – mit und ohne „Migrationshintergrund“ hatten sich zu diesem Kollektiv zusammen gefunden, um mit Mitteln der Kunst politische Inhalte darzustellen, zu demaskieren ...

„Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohle“ war die Performance, mit der die Gruppe bekannt und auch für den Theaterpreis Nestroy nominiert wurde. Das nunmehrige Musical, das am 9. Juni im Rahmen der Wiener Festwochen uraufgeführt wird, befindet sich im Stadium den Endproben. Eine solche – im Ernst-Kirchweger-Haus (Wien-Favoriten) – durfte der KiKu besuchen.

Solchene Sachen lassen sich oft nicht erfinden...

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Von der eingangs geschilderten bis zu weiteren Situationen aus dem Lager-Alltag sind keine Erfindungen, sondern aus der Realität entnommen. Sie stellen den Stress derer dar, die in den ersten Wochen und Monaten nach ohnehin schon traumatischen Erlebnissen in einem ums Dreifache überfüllten Lager leben mussten, oft auch noch unnötigen Schikanen ausgesetzt – wie stundenlanges Schlange-stehen für die Essensausgabe in der Sommerhitze – statt beispielsweise einer Nummernausgabe. In den Lageralltag mischen sich auch Erinnerungen an die gefährlichen Bootsüberfahrten.

Gebrochen werden die heftigen Szenen immer wieder auch durch Humor – nicht nur den eingangs beschriebenen karikierten Security-Mann. Etwa, wenn ein Koffer voller Stöckelschuhe zum Lager gebracht wird – tatsächlich hatten spendenfreudige Menschen solche zu Hilfsorganisationen gebracht, die dann versucht hatten wie Facebook diese gegen brauchbares alltagstaugliches Schuhwerk zu tauschen.

Im Musical kommen aber auch pro- und Gegendemos vor und ein Besuch der damaligen Innenministerin im Lager – mit Medienrummel und „einer süßen kleinen schwarzen Maus“ fürs Foto. In einer anderen Szene taucht ein „Quotensandler“ (gespielt von Bernhard Dechant – gemeinsam mit Tina Leisch für Konzept, Text und Regie verantwortlich) auf – auf einmal entdeckten Medien, die sonst gegen Obdachlose und Bettler hetzen arme heimische „Sandler“, denen doch viel eher geholfen werden müsste als den Flüchtlingen.

In die Szenerie der Profiteure mischen sich nicht nur Schlepper „die eine tote Zukunft angedreht haben“, sondern auch „Prediger“, die hoffen, unter den Unzufriedenen nun Anhänger ködern zu können.

Woher auch immer ...

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Im KünstlerInnenkollektiv treffen Menschen unterschiedlichster Herkunft und Geschichte zusammen – die unter anderem eines gemeinsam haben: Leidenschaft für die Bühne – ob spielend, singend oder tanzend. Da ist etwa Farzad Ibrahimi, in Afghanistan geboren, im Iran aufgewachsen, seit zwei Jahren in Österreich, der schon als Kind in Teheran gespielt und getanzt hat. Etwas, das vielen Afghanen im Iran gar nicht möglich war – wie etwa Amin Khawary. „Ich hab Theater schon immer geliebt, aber im Iran konnte ich das nicht ausüben, da hab ich Fotodesign gemacht, in Traiskirchen bin ich dann zu dieser Gruppe gekommen und durfte endlich spielen.“

Nyima Ngum hat schon mehrfach bei der Jugendlichen-Theatergruppe SchauSpielWerk im WuK (Werkstätten- und Kulturhaus) gespielt, „aber das ist mein erstes Mal bei einer so großen Produktion, das ist dann schon noch etwas anderes“ freut sie sich aber schon auf die Aufführungen im großen Volkstheater.

Jasmeet Lamba freut sich, gemeinsam mit ihrem Bruder Pal Singh Chopra – eine Ehepaar mit Kleinstkind – spielen zu können. „Das ist das erste Mal, dass mein Bruder mit Down-Syndrom mit mir gemeinsam spielen darf.“ Für den in Wien aufgewachsenen Dariush Ongaie ist es „nur“ eine von vielen Theater- und Filmproduktionen bei denen er mitwirkt, „aber noch nicht so lange, ich bin Arzt, weil das meine Eltern wollten, erst spät hab ich damit begonnen zu spielen und zu tanzen, das wollten meine Eltern nie.“ Ebenfalls Ärztin ist Shureen Shab-Par. „Ich hab aber schon als Studentin getanzt und während des Turnusdienstes hab ich bei einer Tanztheaterstücken mitgespielt.“

Traiskirchen. Das Musical
Eine Produktion der „Schweigenden Mehrheit“
in Kooperation mit den Wiener Festwochen und dem Volkstheater Wien
Sprache: Deutsch / Englisch

Konzept & Text & Regie: Die Schweigende Mehrheit - Tina Leisch & Bernhard Dechant
Musikalische Leitung: Imre Bozoki Lichtenberger
Musik: Lukas Lauermann, Jelena Popržan, Mahan Mirarab, Mona Matbou Riahi, Jörg Mikula, Sakina Teyna
Mit Kompositionen von: Eva Jantschitsch (Wien), Imre Bozoki Lichtenberger (Wien), Bauchklang (Wien, München, St. Pölten), Leonardo Croatto (Montevideo), Sakina (Kurdistan), TEXTA (Linz), Futurelove (Wien & Harare), Ebony Archways (Graz), Jelena Popržan (Wien), u.v.a.m.

Es spielen und singen:
Johnny Mhanna, Hanna Binder, Bernhard Dechant, Max Mayer, Shureen Shab-Par, Gat Goodovich, Sophie Resch, Eva Prosek, Dariush Ongaie, Jehad Al-Khateb, Khaled al Mobayed, Futurelove Sibanda, Ardee Dionisio, Alireza Daryanavard, Yasser Alnazar, Moussa Thiewa, Stefan Bergmann, Mazen Muna, Fatina Saleh, Julia Bernhard, Jantus Philaretou, Hicran Taptik, Hisham Morscher, Bagher Ahmadi, Daniyal Gigasari, Jasmeet Lamba, Basima Saad Abed Wade, Negin Keyvanfar, Pal Singh Chopra, Amin Khawary, Nyima Ngum, Zaher Mahmoud, Laila Hajulah, Farzad Ibrahimi, Haidar Ali Mohammadi

Choreographie: Birgit Unger & Tim Nouzak
Bühne: Gudrun Lenk-Wane
Lichtdesign: Dulci Jan
Produktion: Christina Pröll, Verena Schäffer
Regieassistenz: Stefan Wurmitzer
Ton: Gustavo Petek

Wann & wo?
Wien
9. 15., 17. Juni 2017, 19.30 Uhr
Volkstheater, 1070 Wien; Neustiftgasse 1

Niederösterreich
21. Juni 2017, 19.30 Uhr
Stadttheater Wr. Neustadt, 2700 Herzog Leopold-Straße 17

2. Juli 2017, 20.00 Uhr
Festspiele Stockerau, 2000 Sparkassaplatz 2

www.schweigendemehrheit.at