Kiku

So ein Zirkus!

Annemarie ist 22 Jahre alt und lebt in Berlin. Vor vier Jahren hat sie an der CastingshowDeutschland sucht den Superstar“ teilgenommen. Wie so viele träumte die junge Frau davon, ein Star zu werden.

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Das bereut sie heute: „Ich war 18 Jahre alt und kannte diese Art von TV-Produktion nicht. Ich vertraute immer allen und im Nachhinein war das naiv und hat mir und meiner Familie sehr viele Schmerzen bereitet.“ Dass die Teilnahme an einer solchen Fernsehsendung bei jungen Menschen Krankheiten wie Depressionen auslösen, zeigen die Ergebnisse einer Befragung ehemaliger Castingshow-Teilnehmer. Einige davon – wie Annemarie auch – erlebten die Sendung anfangs positiv. Doch als sie in der Show ein paar Mal auffiel und sie die Kritik der Jury kommentierte, stürzte sich die Presse auf sie. Über die damals 18-Jährige wurde sehr viel Negatives geschrieben.

Manege frei!

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Einer, der das Bild der Kandidaten besonders beeinflusst, ist Musikproduzent Dieter Bohlen. Er ist Juror und Direktor des DSDS-Showzirkus. Er bestimmt, wer in der Manege singt und tanzt. Seine beiden Jurykollegen haben meist nicht viel zu sagen. Bohlen bewertet den Gesang und Auftritt der jungen Menschen. Und er kritisiert dabei auch Kleidung und Figur der Teilnehmer. Mit seinen frechen Sprüchen stellt er die jungen Menschen auf der Bühne bloß und macht sich über sie lustig. Das Publikum klatscht.

Analyse

Der deutsche Medienexperte Bernd Gäbler hat Castingshows wie „DSDS“ und „Germany’s Next Topmodel“ analysiert. Dass in solchen Sendungen ein „Star“ herauskommen soll, ist für ihn kaum vorstellbar. Gäbler sagt, dass Heidi Klum und Dieter Bohlen nur zwei Dinge vermitteln: Anpassung und Gehorsam. Wer anders ist und die Ratschläge der „Stars“ nicht befolgt, wird verspottet oder fliegt raus.
Dass in den Sendungen tatsächlich ein paar „schräge Vögel“ dabei sind, ist kein Zufall. Schon bei der Auswahl der Kandidaten suchen die Fernsehmacher nicht nur nach talentierten Menschen, die gut singen können, sondern nach „lustigen Typen“. Sie sind die Attraktion und sollen das Publikum unterhalten. Zu einem jungen Teilnehmer, der einen auffälligen Bart trug, sagte Bohlen: „Du musst vor allem auch zu Haus mal in den Spiegel gucken. Das sieht aus, als wäre in deinem Gesicht irgendein Tier verendet.“ Zu einer anderen Kandidatin sagte er: „Also wenn du bei mir im Keller singen würdest, würden die Kartoffeln freiwillig geschält nach oben kommen.“

Bloßstellen

Viele dieser Auftritte, die Menschen bloßstellen, stehen als Videos im Internet. Eine ehemalige Teilnehmerin beklagt, dass sie darauf oft angesprochen wird. „Ich hätte mich niemals beworben, wenn ich gewusst hätte, was die mit den Leuten da alles machen, nur um sie blöd darzustellen.“
Bohlen hat noch eine andere Seite, die Teil der Show ist. Er spielt gerne den väterlichen Kumpeltyp. Vor allem Burschen fühlen sich von dieser Taktik angesprochen. In der Befragung sagen sie, dass man von Bohlen lernen kann, wie man Kritik an Menschen übt. Wenn man die oben genannten Sprüche hört, klingt das nicht besonders gut.

Casting-shows: Zuseherzahlen 80 Prozent der Mädchen und 60 Prozent der Buben im Alter von 6 bis 17 Jahren sehen regelmäßig Castingshows.
Idole: Dreiviertel der befragten 6- bis 8-Jährigen kennen Dieter Bohlen. Vor allem Buben haben das
Gefühl, von ihm lernen zu können, wie man Kritik übt. Beliebteste Jurorin ist Sarah Connor. Fast jedes zweite Mädchen hätte sie gerne als Mutter. 90 Prozentder Befragten würden teilnehmen, weil dann alle Freunde sowie auch die Eltern und Lehrer endlich einmal sehen würden, was tatsächlich in ihnen steckt.

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Karsten war Favorit in der Casting-Show. Dann stürzte er gnadenlos ab. Ging da alles mit rechten Dingen zu? Sein Freund Eddy beginnt zu recherchieren. Sein Freund Eddy beginnt zu recherchieren. Und kommt auf so manches drauf. Flott geschrieben, spannend - und vielleicht passend für morgige Möchte-gern-Helden?
Wolfgang Korn, Birgit Jansen (Illustrationen), Und morgen ein Star!, Bloomsbury, 186 S., 15,40 €
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Wie für seine Bücher üblich hat Todd Strasser, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Morton Rhue, auch für das über Star-Ruhm ausführlich recherchiert und alles zu einer (ausgedachten) spannenden Geschichte gemixt. In „Fame Junkie“ dreht sich die Geschichte um eine jugendliche Fotografin, die kurzfristig durch einen Zufalls-Schnappschuss zum Star wird: Jamie. Aber nicht nur sie, ihr rum ist bald vorbei, bis – sie den Job kriegt, eine Woche lang beim Top-Top-Top-Star Willow zu leben und über sie eine fette Homestory zu schießen. Und dabei drauf kommt, dass nicht alles edel ist, was nach außen hin glänzt…
Morton Rhue, Fame Junkies, Ravensburger, 313 Seiten 7,20 €
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Auch Fabian Burstein hat viel im Milieu studiert, kennt die Musikszene ganz gut und hat viel von seinem Wissen und den Gesprächen mit ehemaligen Castingshow-Teilnehmer_innen in seinen Roman einfließen lassen. Auch wenn in der Geschichte rund um den nicht gerade erfolgreichen, nicht mehr ganz jungen (an die 30) Musiker Noel übertriebenermaßen gleich mehrere Morde passieren, so zeigt er so manche der Mechanismen, wie Teilnehmerinnen und Teilnehmer in dramatische Konkurrenzkämpfe und gegeneinander aufgehetzt werden. Wie zu den Jurys (fast) immer bad guys gehören, die für Dramatik und Quote sorgen und wie es um letztere viel mehr als um Können geht…
Fabian Burstein, Träum weiter, Labor Verlag, 192 Seiten, 19,95€