Kiku

Kurdisch Jodeln

Mit einer kleinen Kundgebung samt Gesängen wurde am Nachmittag des Dreikönigstages der symbolische mehrtägige Hungerstreik in der Opernpassage beendet. Ali Gedik, der ihn am Sonntag begonnen hatte und dem sich am Montag noch Aysel Gelmez und Şemsedin Yalcinkaya angeschlossen hatten, konnte auf wenigstens kleine Erfolge verweisen.

Öffentlichkeit hergestellt

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„Natürlich war mir klar, dass der Krieg des Militär und der Polizei in der Türkei gegen die Kurdinnen und Kurden mit dieser Aktion nicht beendet werden kann. Aber was wir wollten war, die Öffentlichkeit in Österreich aufmerksam zu machen. Und das ist immerhin gelungen, dass dieser Krieg gegen die Zivilbevölkerung, bei dem schon rund 300 Menschen, darunter 60 Kinder und Jugendliche getötet worden sind, nicht mehr unbemerkt passiert. Einige Medien haben berichtet, Künstlerinnen und Künstler wie beispielsweise Willi Resetarits und EsRap sind gekommen, auch einige Politikerinnen und Politiker.“

We shall overcome bis Cane, cane, cane

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Zur kleinen Abschlusskundgebung war eine Gruppe von WeltKulturSchule gekommen. Der Bogen der Lieder reichte vom Kirchen-choral-ähnlichen Volkslied „Dona nobis pacem“ über den bekannten Song der Friedensbewegung „We shall overcome“ über ein hebräisches Friedenslied bis zu einem Jodler, der manche zum kurdischen „LLLLLL“ animierte, worauf „Cane, cane, cane“ angestimmt wurde. Dieses kurdische Lied (zu Deutsch Seele, übrigens eines der wenigen Wörter, das auch im Türkischen so heißt) stammt vom kurdischen Musiker und Sänger Şİvan Perwer, der einige Konzerte gemeinsam mit Willi Resetarits absolvierte, die jeweils von Ali Gedik organisiert worden sind. Gleich darauf begannen einige das bekannte italienische Partisanenlied „Bella ciao“ – in türkischer Version – zu singen, bevor „Die Internationale“ und Rufe „Hoch die internationale Solidarität“ die Aktion für Menschenrechte für Kurdinnen und Kurden und gegen den Krieg der türkischen Regierung gegen die Zivilbevölkerung im Südosten des Landes beendeten.

Genug ist genug!", sagte Ali Gedik und begann Sonntag Vormittag mit einem Hungerstreik. Hinter dem Sessel, den sich der 54-jährige Jugendarbeiter in Wiener Opernpassage beim Abgang zur U1 hingestellt hat, kleben drei Plakate in den Farben der kurdischen Flagge Rot (weil’s im Copy-Shop das nicht gab, griff er zu orange), Gelb, Grün.

Gegen Menschenrechtsverletzungen

Gediks Anliegen: Auf die Menschenrechtsverletzungen im Kurdengebiet in der Türkei aufmerksam zu machen und für die Freiheit des kurdischen Volkes einzutreten. Vor allem will er – das seine Begründung in einem ausführlichen Flugblatt sowie auf Facebook – und natürlich in den vielen persönlichen Gesprächen, „dass österreichische und europäische Politiker und Politikerinnen endlich dem Herrn Erdoğan sagen: Halt, so geht es NICHT! Es ist ein unerklärter Krieg gegen die Zivilbevölkerung.“

Persönliche Betroffenheit

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Die persönliche Betroffenheit ist zu spüren, zu sehen. „Ja, und es war eine spontane Entscheidung am Samstag. Meine Frau und ich haben wieder Berichte von zerbombten Häusern, erschossenen Menschen, auch Kindern und Jugendlichen, gesehen und von Menschen gelesen, die nicht einmal ihre verwandten Toten bestatten dürfen, weil die Regierung Ausgangssperren verhängt hat. Jugendliche werden getötet und die Medien in der Türkei berichten nur von Terroristen! Da hab ich beschlossen, ich muss ein Zeichen setzen. Ich muss was tun!“

Erst nachdem er sich zum symbolischen, mehrtägigen Hungerstreik entschlossen hatte, erfuhr Ali Gedik, dass auch einige Familien in Diyarbakır (so etwas wie die Hauptstadt des Kurdengebietes in der Türkei) in den Hungerstreik getreten sind, und auch einige führende Alewiten in verschiedenen Städten der Türkei.

Seit 40 Jahren in Österreich

Gedik wurde in Pazarcık in der Provinz Maraş geboren, wuchs bis zum Schuleintritt zu Hause mit Kurdisch auf, was damals noch verboten war. Ab dem Schuleintritt wurde er zwangs-türkisiert, mit 14 ging er zu seinem Onkel nach Vorarlberg und begann mit 15 in einer Fabrik zu arbeiten. Seit mehr als 20 Jahren lebt er in Wien, wo er als Jugendarbeiter tätig ist, unter anderem lange beim Verein Jugendzentren. Derzeit leitet er eine WG für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan.

Fischer, Faymann, Kurz: "Handeln Sie, jetzt!"

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Er und Freundinnen und Freunde, die ihn bei seiner Aktion besuchen und die politische Entwicklung in der Türkei genau beobachten, fürchten, „dass Erdoğan den Konflikt noch weiter zuspitzen wollen und die Parlamentswahl neuerlich wiederholen lassen wollen“. Als die regierende AKP im Juni die absolute Mehrheit verloren hatte, wurde der Friedensprozess torpediert, der Konflikt angeheizt, die Wahl wiederholt. Aber auch die neuerliche absolute Mehrheit brachte noch nicht Verfassungsmajorität, mit der Erdoğans Wunsch nach dem Präsidialsystem durchgesetzt werden könnte. Die Androhung der Aufhebung der Immunität von (führenden) Parlamentsabgeordneten der links-demokratischen, prokurdischen HDP sind ein weiteres, offensichtliches Zeichen für die undemokratische Vorgangsweise der Machthaber in der Türkei. „Nein, ich bin als Mensch, als Österreicher und als Kurde nicht bereit, diese Situation hinzunehmen und appelliere an Sie (Bundespräsident, Bundeskanzler, Außenminister) eindringlich: Handeln Sie bitte jetzt!“, beendet der Hungerstreiker den Aufruf in seinem Flugblatt.