Bei der Schulreform auf die Basis hören
Von Ute Brühl
Die Regierung hat sich die Erneuerung des Schulsystems zum Ziel gesetzt. Wohin die Reise gehen soll, das hat die Bildungsreformkommission am 17. November 2015 präsentiert (siehe unten). Doch statt des großen Wurfs ist nur ein Reförmchen geglückt. Geschuldet ist das der bildungspolitischen Situation im Land, in der Ideologie und Machtinteressen die Diskussion bestimmen. Was aus Sicht der Wissenschaft sowie der Pädagogen sinnvoll wäre, fließt kaum in die Reformüberlegungen ein.
Christian Friesl, Initiator von Neustart Schule (Zusammenschluss von Pädagogen und Interessensvertretern), kennt den Status quo und warnt: "Wir sollten uns nicht lähmen lassen. Im Gegenteil: Gerade weil die Situation so verfahren ist, brauchen wir eine Reform." Was sich ändern muss, darüber haben vergangene Woche auf Einladung von "Neustart Schule " Experten, Schulpartner und Vertreter des Ministeriums diskutiert. Der Wunsch: Ihr Wissen soll Eingang in die Reform der Schulorganisation finden.
Elementarpädagogik Der Kindergarten ist keine Aufbewahrungsstätte, sondern die erste außerfamiliäre Bildungseinrichtung, die die Basis für die Bildungskarriere eines Kindes legt. Positiv sieht Dagmar Petrovitsch von der Plattform Educare, dass in der Bildungsreform der Kindergarten mitgedacht wird. Glücklich ist sie mit den Reformvorschlägen dennoch nicht. "Dass das zweite verpflichtende Kindergartenjahr kein Muss ist, tut der Sache nicht gut." Nötig seien zudem Pädagogen, die an der Hochschule ausgebildet werden, wie das europaweit üblich ist. Dann wären Kindergärtner endlich auf einer Stufe mit Lehrern. Noch unausgegoren sei der geplante Bildungskompass, in dem die Stärken und Entwicklungen eines Kindes dokumentiert werden. Statt eines punktuellen Tests im Alter von 3,5 Jahren wäre es besser, ein Portfolio zu erstellen, in dem Diagnosen und Beobachtungen während des Kindergartens dokumentiert sind. Diese könnten die Schulreifeprüfungen ersetzen. "Dafür brauchen die Kindergärten Ressourcen und eventuell Spezialisten", sagt Petrovitsch.
Autonomie Eine Schule in Wien-Ottakring mit hohem Migrantenanteil hat andere Herausforderungen als eine Kleinstschule in Vorarlberg. Deshalb ist Autonomie das Gebot der Stunde. Erwin Greiner – ehemaliger Direktor eines Gymnasiums, das als Gesamtschule geführt wurde – mahnt ein, dass die Schulen auf die Selbstständigkeit vorbereitet werden müssen. "Dazu gehört eine entsprechende Aus- und Weiterbildung der Schulleiter. Das Ministerium muss Bildungsziele vorgeben, und am Standort wird entschieden, wie diese erreicht werden." Angesichts knapper Kassen warnt Greiner davor, Schulen unter dem Vorwand der Autonomie nur selbstständig entscheiden zu lassen, wie sie den Mangel verwalten. Wenn Schulen finanziell, personell und pädagogisch unabhängig sind, könne man hingegen bei der Schulverwaltung sparen, ist sich Christian Friesl sicher. Reformbedarf sieht er auch bei der Direktorenbestellung: "Da muss endlich Schluss sein mit der Einflussnahme der Parteien."
Schule der 6- bis 14-Jährigen Die Neue Mittelschule ist nicht sonderlich attraktiv. Das differenzierte System hält Friesl dennoch für nicht zeitgemäß: "Wir brauchen eine ganz neue Schule, die alle Kinder miteinbezieht. Um eine solche zu etablieren, benötigen wir Visionäre. Ohne Autonomie geht das nicht", sagt Friesl. Die geplanten Modellregionen für NMS (auf 15 Prozent eines Bundeslandes beschränkt) bräuchten inhaltliche Kriterien, die sich an den Bedürfnissen der Schüler orientieren, nicht an Prozentsätzen. Sinnvoll wäre, diejenigen, die Neues wagen, ins Boot zu holen, und diese Schulen zu vernetzen. Koordiniert müsste das vom Bildungsministerium werden.
Bildungsdirektionen Im Vorschlag vom 17. November steht eine gemeinsame Bund-Länder-Behörde unter Leitung eines Bildungsdirektors. Die aktuelle Diskussion geht wieder in Richtung Ausbau der Macht der Bundesländer. Dies wäre nur die rechtliche Einzementierung der Ist-Situation mit neuen Funktionsbezeichnungen und ein Etikettenschwindel. Da wäre es besser, wenn die Bildungsdirektionen eine Bundesbehörde werden.
Über Inhalte reden Sobald die Regierung die Reform der Schulverwaltung präsentiert, müsse endlich die Diskussion über Inhalte beginnen. Darin sind sich die Vertreter von Neustart Schule einig. Wichtige Fragen sind etwa: Wie kann die Pflichtschule Ergebnisse liefern? Was passiert mit der 9. Schulstufe? Wie verhindert man eine soziale Selektion? Welche Bildungsziele gibt es?
Bildungsreformkommission
SPÖ und ÖVP haben je vier Vertreter nominiert, die über Bildungsfragen diskutieren – darunter je zwei Bundes- und zwei Ländervertreter. Am 17. November 2015 haben sie ihr Konzept präsentiert.
Das liegt auf dem Tisch: Zwei Jahre Kindergartenpflicht, allerdings nur für Kinder mit Defiziten. Für 3,5-Jährige soll ein Bildungskompass erstellt werden, der Stärken und Entwicklungsfortschritte dokumentiert.
Den Standorten wird etwas
mehr Autonomie zugestanden – Direktoren können bei Neueinstellungen mitreden und Lehrerposten in Support-Personal umwandeln. Schulpartner können über Öffnungszeiten abstimmen.
Statt Landesschulräte soll es Bildungsdirektionen geben.
Die Verrechnung der Landeslehrer erfolgt über das Bundesrechenzentrum. Die Gesamtschule kommt nicht – es wird nur Modellregionen geben.