Leben/Gesellschaft

In sechs Semestern zum Sex-Profi

Master of Sexology – das dürfen sich die zukünftigen Absolventen der Hochschule Merseburg im Osten Deutschlands auf ihre Visitenkarten schreiben. Dort gibt es ab Oktober, gemeinsam mit dem Schweizer Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapie in Uster, einen berufsbegleitenden Masterstudiengang für Sexologie – der erste dieser Art im deutschsprachigen Raum. Sozialarbeiter, Therapeuten oder Ärzte sollen in sechs Semestern zu Sexologen ausgebildet werden und als solche andere in ihrer sexuellen Gesundheit beraten.

Viele Tabus

In Zeiten, wo Pornos für jeden Geschmack im Internet frei zugänglich sind und sich Sadomaso-Romane monatelang auf den Bestsellerlisten halten – sind wir da nicht ohnehin "überaufgeklärt"?

Eben nicht, sagt Bettina Weidinger vom Institut für Sexualpädagogik in Wien. "Es gibt keine Aufklärung über sexuelle Kompetenzen, Entwicklung und Gesundheit. Keine Gespräche über echte Bedürfnisse, Gefühle, Körperwahrnehmungen. Und vor allem keine Gesellschaft, die den Körper wertschätzt – außer, um Leistung zu erzielen." Zudem gebe es immer noch viele Tabus und wenig Information. "Dadurch werden Klischees geglaubt – z. B., dass es in einer guten Beziehung automatisch guten Sex gibt."

Im Gegensatz zum Studium der Sexualwissenschaft, das auf der Hochschule ebenfalls angeboten wird, soll der Sexology-Master praxisbezogen sein. "Sexocorporel" heißt die Methode, die auch Rollenspiele und Körperübungen vorsieht. Derzeit gibt es für die 24 Studienplätze in Sexualwissenschaft 200 Bewerber. Für Sexology werden es wegen der hohen Kosten von mehr als 19.000 Euro wohl weitaus weniger sein. Sexualpädagogin Weidinger hat Hoffnung: "In zehn Jahren ist Sexologie vielleicht längst in andere Ausbildungen integriert."

Kunstbegriff

Einen Hochschullehrgang für Sexologen – laut Weidinger ein Kunstbegriff – begrüßt die Sexualpädagogin. "Es ist wichtig, dass es Aus- und Weiterbildungen in diesem Bereich gibt. In der Ausbildung zum Therapeuten, Pädagogen oder Mediziner ist sexuelle Gesundheit nicht explizit vorgesehen. Sollte sie aber – denn Sexualität umfasst alle Bereiche des Menschen."

Sexualmedizinerin Elia Bragagna wird noch deutlicher. Den Master für Sexologie findet sie gut. Dennoch sei er ein "Armutszeugnis für unsere Gesellschaft" – weil Sexologie eigentlich ein fixer Teil des Medizin- und Psychologiestudiums sein sollte. "Der Master ist eine Notlösung. Was da vermittelt wird, ist sehr wichtig, aber um 19.000 Euro werden sich das nicht viele leisten."

Info: www.sexualtherapie.ch

Kinder sind keine sexlosen Wesen. Dessen sollten sich Eltern laut Erziehungsberaterin Viktoria Lippert bewusst sein: "Schon die Kleinsten haben Lust an ihrem Körper. Dass sie das zum Beispiel in der Badewanne ausleben, ist völlig normal. Das sollte Eltern nicht irritieren." Gefährlich wird die Sexualität von Kindern immer dann, wenn sie "mit kranken Menschen in Kontakt kommen. Die sehen diese Handlungen dann als Aufforderung".

Das Problem: "Kinder können oft noch nicht unterscheiden, welche Berührung durch Erwachsene okay ist und welche nicht." Eltern sollten ihre Kinder deshalb ermutigen, immer nur solche Berührungen zu dulden, die für sie auch angenehm sind. "Im Klartext heißt das: Wenn Ihr Sohn oder Ihre Tochter kein Bussi von der Oma will, so dürfen sie das auch ablehnen." Und Eltern sollten ihrem Kind sagen: "Sex mit dir selbst ist okay – doch wenn das andere mit dir machen, ist das nicht in Ordnung."

Die neuen Medien seien für Heranwachsende eine besondere Gefahr: "In Videos sehen Kinder manchmal Dinge, für die sie noch zu jung sind. Müssen Kinder diese Bilder sehen, so ist das oft ein emotionaler Missbrauch." Lipperts Rat an Eltern: "Installieren Sie fürs Internet ein Kinderschutzprogramm, das solche Videos sperrt."

Adieu Dr. Sommer

Sobald aus dem Kind ein Teenager wird, ist es nicht mehr so einfach, es vor den Bildern im Netz zu schützen. Außerdem nimmt gerade in dem Alter das Interesse und die Neugier am Thema Sex zu. Einst war Bravo das Aufklärungsmagazin, das den Wissensdurst stillte. Heute ist es das Internet. Das wird aber nicht – wie einst – von Dr. Sommer moderiert. "Dabei wollen Teenager gerne nachfragen", sagt Lippert, die in der Unterstufenklassen Aufklärungsworkshops macht. Dort merkt sie oft, welche Defizite es im Wissen um Sex gibt: "Da wird etwa gefragt, was Oralsex ist, wie man verhütet oder an welchen Orten Sex erlaubt ist. Auch extravagante Sexualpraktiken wie Sadomaso werden angesprochen."

Praktisches Sex-Wissen erwerben Schüler z. B. auch mit dem Sexkoffer des Bildungsministeriums. "Eine gute Sache. Viele Schüler haben keine Ahnung, wie sie selbst oder wie das andere Geschlecht ausschaut. Die Informationen, die die Jugendlichen so erhalten, nehmen ihnen die Unsicherheit."

Sexualunterricht und Schule. In vielen Ländern ist das ein leidiges Thema. Wer erinnert sich nicht an peinliche Biologiestunden? In Borken im deutschen Nordrhein-Westfalen war der Aufklärungsunterricht offenbar so aufregend, dass gleich acht Schüler ohnmächtig wurden und von der Rettung ins Spital gebracht werden mussten. Und das nur, weil sie Geschlechtsteile ausmalen mussten.

Weitaus professioneller geht man in Schweden mit dem Thema Aufklärungsunterricht um. In dem skandinavischen Land ist Sexualkunde schon seit 1955 Teil des Lehrplans und hat deshalb eine lange Tradition.

Schwedische Schüler gehören aus diesem Grund zu den am besten aufgeklärten weltweit. In einem Video, das so gut wie jeder Teenager zu sehen bekommt, erfahren sie (fast) alles über Selbstbefriedigung, Stellungen, den eigenen Körper und Verhütungsmethoden. Auch über das erste Mal, die Anatomie der Menschen und den richtigen Kondomgebrauch wird in dem animierten Film berichtet. In dem Film geht es außerdem um das Recht auf den eigenen Körper.

Das schwedische Beispiel zeigt, aufgeklärte Jugendliche haben nicht früher Sex als Teenager in anderen Ländern. Sie wissen nur eher, worauf sie sich einlassen, wenn sie sich mit jemandem einlassen.