Wie Schule es schafft, für die Arbeitswelt zu begeistern
Von Ute Brühl
Immer wenn Franz Burda diese Geschichte erzählt, leuchten seine Augen. Der Direktor der Polytechnischen Schule Schopenhauerstraße Wien-Währing berichtet: "Eine Verabschiedung von einem Schüler ist mir in Erinnerung geblieben. Mit dem Buben, der viel Streit mit seinem Vater hatte, habe ich manche Sträuße ausgefochten. Am letzten Tag gab er mir die Hand und meinte: ,Herr Burda, Sie sind ein klasser Bursch. Darf ich zu Ihnen kommen, wenn’s zu Hause mal wieder Ärger gibt?‘" Emotionale Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern machen den Erfolg einer Schule aus.
Es führt zu mehr Nähe – die braucht es, um gemeinsam mit den jungen Menschen ihre Stärken auszuloten. Damit diese am Ende des Jahres wissen, wie es weitergeht. Ob sie eine Lehre beginnen – und falls ja, welche. Oder ob sie auf eine weiterführende Schule gehen. Schüler haben insgesamt neun Fachbereiche als Schwerpunkt zur Wahl. Die Praxis in den Werkstätten und in Firmen hilft bei der Entscheidungsfindung. Sie ist nicht immer einfach, wie die 14-jährige Jennifer weiß: "Ich schwanke zwischen Kindergärtnerin und Krankenschwester." Marcel hat hingegen einen konkreten Berufswunsch: "Fotograf." Auch die 15-jährige Tamara weiß, was sie will: "Ich bereite mich auf die höhere Schule vor. Später will ich Journalistin werden." Sie ist vor zwei Monaten von Bosnien nach Wien gekommen. Ihr Deutsch ist schon fast perfekt: "Ich habe viele deutsche Spielfilme geschaut – so habe ich die Sprache gelernt." Wer noch keine Ahnung hat, in welche Richtung es geht, besucht die Fachmittelschule und schnuppert in vier Fachbereiche.
Lehre statt Matura
Direktor Burda sieht bei der Wahl der richtigen Schule auch eine Verantwortung der Volks- und Hauptschulen: "Dort würde ich mir mehr Notenwahrheit wünschen, weil diese zu einem realistischeren Blick der Eltern auf ihre Kinder führt." Das gilt vor allem für die Übergänge nach der achten Schulstufe: "In Ballungszentren drängen viele Schüler mit aller Macht in die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen. Egal ob es passt oder nicht. Einige Schüler landen nach kurzer Zeit mit dem Stigma des Versagens bei mir." Dabei ist "das Poly" keine Sackgasse. Vieles, was die Schüler hier lernen, können sie immer brauchen: "Richtig telefonieren, grüßen und pünktlich sein." Auf solche soziale Kompetenzen legt Burda großen Wert. Erfolgreich ist er aber nicht bei allen: "5 Prozent schaffen die Schule nicht. Das tut dann immer weh."
Info: In der PTS Schopenhauerstraße in Wien-Währing haben die Schüler die Wahl, einen von folgenden Fachbereichen als Schwerpunkt zu wählen: Dienstleistungen, Tourismus, Metall, Mechatronik, Holztechnik, Handel & Büro, Elektrotechnik und Bautechnik. Die Hälfte der Unterrichtszeit verbringen die Schüler in der Werkstatt bzw. in der Küche oder im PC-Raum. Die restliche Unterrichtszeit stehen Fächer wie Mathematik oder Deutsch auf dem Stundenplan.
Fachmittelschule: Wer noch keine Ahnung hat, wo seine Stärken liegen, besucht diese Schulform. Der Schüler schnuppert in vier Fachbereiche gleichzeitig. Zusätzliche Fächer sind hier z. B. Oberstufentraining oder Informationstechnologie.
Eine Lehrstelle ist das Ziel der meisten Schüler, die eine Polytechnische Schule besuchen. Was künftige Arbeitgeber von jungen Menschen erwarten und welche Reform dieses Schultyps nötig ist, verrät Sonja Lengauer von der Österreichischen Industriellenvereinigung.
KURIER: Welche Aufgabe hat die Polytechnische Schule (PTS)? Sonja Lengauer:Sie soll Jugendlichen helfen, einen von 200 Lehrberufen auszuwählen und sie auf die Lehre vorbereiten. Aus Sicht der Industrie bieten viele PTS Großartiges an, um Jugendliche in ihrer Persönlichkeit zu stärken, sodass sie mit 15 Jahren in den Beruf können.
Was wünscht sich die Industrie von den jungen Menschen? Viele Schüler verlassen ja das "Poly" und merken dann, dass sie nicht gebraucht werden. Liegt es an fehlenden Fertigkeiten?
Eins vorweg: Die Industrie ist der drittgrößte Lehrstellenanbieter. Ihr Anspruch an die Jugendlichen ist, dass die Kompetenzen, die über die Schule vermittelt werden sollten, auch sichtbar sind. Dazu gehört natürlich das Lesen, Schreiben, Rechnen und mittlerweile auch die Informationstechnologie. Zudem ist ein Maß an grundlegendem Wissen über Wirtschaft, Finanzen und Politik von Vorteil. Darüber hinaus – und das ist das Schwierigste – sind junge Menschen gesucht, die eine Persönlichkeit haben und zu sich stehen können. Aber auch Hausverstand und ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein sind nötig. Das kann ein Jahr Polytechnische Schule allein allerdings nicht schaffen. Das ist die Aufgabe in den Jahren der Schule davor.
Die Schulform steht in der Kritik – sie führe in eine bildungspolitische Sackgasse.
Die Gefahr besteht. Die OECD nannte das "Poly" eine strukturelle Anomalie, weil es einen Bruch in der 9. Schulstufe darstellt. Ein Weg, diese Schulform aufzuwerten, wäre, für mehr Durchlässigkeit zur sorgen. Auch weil von Jugendlichen dieses Alters verlangt wird, berufliche oder schulische Entscheidungen zu treffen, die sie dann durchziehen.
Sollte das Poly reformiert werden? Falls ja, wie könnte die Reform aussehen?
Strukturell gesehen ist es ein Problem, dass die Polytechnische Schule kein Muss ist, sondern über andere Schulformen wie eine HTL oder ein BORG das 9. Schuljahr abgedeckt werden kann. Darunter leidet diese Schule. Wenn wir da über eine Reform reden, dann sollte nicht nur über das "Poly" nachgedacht werden. Es braucht vielmehr eine ganzheitliche Diskussion, wie man das Bildungssystem reformiert.
Ihre Erfahrungen mit der Polytechnischen Schule?
Positiv. Aus der Steiermark höre ich zum Beispiel regelmäßig, dass sie dort als Schnittstelle zwischen Schule und Beruf gut funktioniert. Ohne das Engagement der Lehrer wäre es für viele Unternehmer nochmals schwieriger, Lehrlinge zu finden.