Im Kindergarten chinesisch lernen
Von Ute Brühl
Die Wirtschaft und die Gesellschaft wandeln sich rasant. Der deutsche Pädagoge und Zukunftsforscher Martin R. Textor plädiert im KURIER-Gespräch dafür, dass Kinder heute Kompetenzen erwerben, die in den kommenden Jahrzehnten wichtig sein werden. Textor referierte in Wien auf einer Tagung der Kinderfreunde. Ein Gespräch über chinesische Lehrer, sprachlose Kindergärtner und Rabenmütter.
KURIER: Welche Fähigkeiten werden in der Zukunft besonders wichtig sein?
Martin R. Textor: Die Teamfähigkeit wird künftig das Nonplusultra sein. Ohne sie geht es nicht. Zwar wird der Einzelne immer mehr ein Spezialist sein. Etwas Neues schaffen kann er aber nur im Team mit anderen Profis. Deshalb müssen wir bei Kindern die gemeinsame Arbeit fördern. Aber in der Schule zählt nach wie vor nur die Leistung des Einzelnen. So wird die Teamarbeit erschwert.
Worauf müssen sich unsere Kinder einstellen?
2025 wird China wohl die größte Wirtschaftsmacht sein. Also muss ich mir Gedanken machen, wie ich die Ausbildung auf Fernost und nicht nur auf Europa ausrichte. Das heißt: Einige Kinder sollten schon im Kindergarten Mandarin (Hochchinesisch, Anm.) lernen. Derzeit könnten wir preiswerte Lehrkräfte aus China holen. Schließlich ist die besten Methode Fremdsprachen zu lernen, wenn sie jemanden haben, der nur diese Fremdsprache spricht.
Themenwechsel: In Österreich werden Mütter, die ihre Kinder früh in Betreuungseinrichtungen geben als Rabenmütter bezeichnet. Viele Frauen verzichten deshalb auf Kinder. Wie kann man das abstellen?
Die „Rabenmutter“ ist ein Konstrukt, das in konservativen Köpfen verankert ist. Es sind oft Verwandte, die Mütter damit konfrontieren. Oder auch Kinderärzte, die meinen, das Kind gehöre die ersten drei Jahre zur Mutter. Aber das sind Einzelmeinungen. Die Verbände der Kinderärzte sehen das anders. Das Problem ist: Sobald ich als Frau einen anspruchsvollen Job habe und flexibel sein muss, merke ich, dass die Angebote der Kindergärten nicht ausreichen. Das ist ein Grund, warum wir bei Akademikerinnen einen massiven Geburtenrückgang haben – in Deutschland sind 40 Prozent kinderlos.
Was wäre die Lösung?
In der Stadt benötigen wir Kindergärten mit langen Öffnungszeiten. Dort sollten Mütter auch einmal anrufen und sagen können: Kann ich meine Tochter um 20 Uhr abholen? Eltern wären bereit, für so ein Zusatzangebot zu zahlen. Mancherorts gibt es Kinderhotels, die am Wochenende Kinder betreuen.
Das ist unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls sicher der bessere Weg, wenn Arbeitgeber dafür sorgen würden, dass Väter und Mütter mehr Zeit für ihre Kinder haben. Wir brauchen ja auch die Väter, weil sie wichtig für die Buben sind. Problematisch ist: Die Eltern-Kind-Beziehungen werden zunehmend schwächer, denn Kinder verbringen immer mehr Zeit in Einrichtungen und immer weniger in Familien. Wir haben einige Zahlen dazu in Deutschland erhoben: Mehr als die Hälfte der unter dreijährigen Kinder ist 36 Stunden und mehr pro Woche in einer Tagesstätte. Selbst, wenn man das Wochenende dazurechnet, verbringen die Kinder mehr Wachzeit im Kindergarten als in der Familie.
Welche Kriterien gibt es für die Qualität eines Kindergartens?
Das Entscheidende ist die Beziehung zwischen Erzieherin und Kind. In den USA wurde das untersucht. Die erschreckende Erkenntnis: Ein hoher Prozentsatz der Kindern hatte keine direkte Ansprache durch die Pädagogin. Erklärung: Der Alltag im Kindergarten ist verplant, mit Kreisspielen, Bildungsangeboten etc.
Ist das verpflichtende Kindergartenjahr eine gute Idee?
Ich würde Eltern-Begleiter einsetzen: Menschen mit Migrationshintergrund gehen in Familien und motivieren, Kinder früh in Kindergärten zu geben. Leider werden Migrantenkinder oft als defizitär wahrgenommen. Ihnen wird gesagt: „Du musst am Sprachförderprogramm teilzunehmen.“ Dazu wird das Kind aus dem Spielen herausgenommen. Es erlebt sich als jemand, der Schwächen hat. Niemand registriert, wie das Kind in seiner Muttersprache ist. Dabei müssten sich Kinder als sprachkompetent wahrnehmen, um selbstsicherer zu werden.