Hölle im Paradies: Die Galapagos Affäre
Von Andreas Bovelino
Es soll hier nicht gesagt werden, dass die Geschichte ohne das Auftreten der Baronin gut ausgegangen wäre. Aber von diesem Moment an nahm sie ihren Lauf mit der Kompromisslosigkeit einer griechischen Tragödie. Oder einer George R. R. Martin-Story: Gewalt, Intrigen, Sex, verschwundene und tote Menschen – am Ende blieben nur zwei der Protagonisten übrig. Deren Nachkommen leben allerdings noch immer auf Floreana.
Der Philosoph und seine Sklavin
Die Selbermacher
Die Insel
Weniger sexy präsentierte sich die Insel selbst. Das Wasser war knapp, die Luft schwül und jede Ernte musste dem felsigen Lavaboden mit viel Schweiß abgerungen werden. Nicht Ritters Schweiß, denn der Philosoph war hier, um zu denken. "Er schlug Dore grün und blau und ließ sie arbeiten wie einen Maulesel", schrieb Walter Finsen, ein isländischer Fischer, der auf Galapagos lebte, in sein Tagebuch. Für den deutschen Arzt war dies eine erzieherische Maßnahme. Er fand Frauen "weichlich, schwach und feige". Für Dore Strauch, deren MS-Erkrankung immer schlimmer wurde, war es die Hölle.
Die Baronin
Das Finale
Zu der Zeit steuerte die Situation auf Floreana allerdings schon auf ihr düsteres Finale zu: Rudi Lorenz, der hübsche, schmächtige Fußwascher seiner Herrin, war immer mehr zum Sklaven degradiert worden, wurde von ihr und Bubi Phillipson dermaßen verprügelt, dass er um sein Leben fürchtete und bei den Wittmers Unterschlupf fand. Wütend forderte die Baronin ihr Eigentum zurück. Die Regenzeit war ausgeblieben, jede der drei Parteien kämpfte noch verbissener als bisher um die spärlichen Ressourcen. Sei es aus Rache oder royaler Gedankenlosigkeit – jedenfalls stahl die Baronin die Kondensmilch der Wittmers, die diese dringend für ihr Baby benötigten. Und plötzlich waren sie und Phillipson verschwunden. Mit einer Yacht in die Südsee, um auf Tahiti ihr Glück zu suchen, erklärte Margret Wittmer, der sie sich angeblich anvertraut hatte, unschuldig. Nur wurde zu keiner Zeit von irgendjemandem eine Yacht gesehen ...
Rudi Lorenz suchte schleunigst das Weite – und endete auf einer wasserlosen Insel, wo er nach einem Motorschaden seines Bootes gemeinsam mit dem unglücklichen Skipper verdurstete. Friedrich Ritter starb wenige Monate später an einer dubiosen Fleischvergiftung. Eigentlich war er Vegetarier. Dore Strauch fuhr zurück nach Deutschland, wo sie 1942 ihrer Krankheit erlag. Nur die stillen, biederen Wittmers blieben. Margret wurde 95 Jahre alt und starb im Jahr 2000 friedlich auf "ihrer" Insel. Das Geheimnis, was vor mehr als 80 Jahren wirklich geschah, nahm sie mit ins Grab.Der dänische Reiseschriftsteller H. Mielche, der Floreana ein Jahr vor der Tragödie besuchte, schrieb in seinem Buch Monsumens Reise: "Wenn Ritter und die Baronin sich gegenseitig dem Erdboden gleichgemacht haben und das Paradies sich in eine rauchende Hölle verwandelt hat, werden die Wittmers noch immer auf der Veranda ihres hübschen Häuschens sitzen."
Die Berliner Film- und Theaterschauspielerin Pauline Knof spielt Margret Wittmer, die Frau, die wie ein Fels sämtliche Katastrophen unbeschadet übersteht. Mit der sprach sie über ihre Sicht der Dinge.
Pauline Knof:Ja, sie war stark. Eine Anpackerin. Zum ersten Weihnachtsfest auf der Insel, da war sie im neunten Monat schwanger und die Familie lebte in einer Höhle, machte sie Schweinebraten und Leberwürste. Das muss man sich mal vorstellen, auf einer einsamen Insel am Äquator! Es gibt Literatur, einen Dokumentarfilm, Reiseberichte – und Margret selbst hat ein Buch darüber geschrieben: „Postlagernd Floreana“. Im Sommer war ich auf Galapagos – leider war gerade Nebensaison und es ging keine Fähre nach Floreana. Ich habe geflucht ...
Sonst hätten Sie sich mit Ihrer „Tochter“ Floreana Wittmer unterhalten können, die das Hotel auf der Insel führt.
Das wäre interessant gewesen. Obwohl sich die Familie seit 30 Jahren nicht zu den Geschehnissen äußert. Die Wittmers gelten als Gründerväter der heutigen Siedlung auf Floreana. Rolf, dem Sohn von Margret, wurde sogar eine Büste am Hafen gewidmet! Aber es war interessant zu sehen, wie wenig paradiesisch diese Inseln tatsächlich sind. Die Landschaft ist kaum lieblich, es gibt undurchdringliche Dornendickichte, Kakteen, Lavageröll. Eine eher menschenfeindliche Natur, wunderschön und abweisend zugleich. Da muss man eine robuste Mentalität und Physis haben, um zu überleben. Die Wittmers haben es geschafft, alle davor sind gescheitert.
Apropos Paradies: Wie konnten die Dinge so aus dem Ruder laufen? Ist es die Schuld der „Schlange“ Eloise?
Es ist schon faszinierend zu sehen, dass sieben Erwachsene es nicht miteinander aushalten, obwohl sie auch noch aus dem gleichen Sprach- und Kulturkreis kommen. Für mich ist das Paradies kein Ort, sondern ein Geisteszustand. Man kann es nicht finden – denn selbst wenn man am schönsten Strand der Welt steht, ist der eigene Charakter schon dabei. Auf Floreana war die Ausgangslage besonders ungünstig. Die Menschen, die dort aufeinander trafen, waren wohl schon in der „normalen“ Gesellschaft nicht kompatibel. Kompromissbereitschaft schien nicht ihre große Stärke zu sein. Und dann trafen hier Philosophen auf Macher und auf hochstapelnde Kapitalisten – sehr, sehr schlechte Mischung ...
War es also ein reiner Clash der Ideologien oder spielten auch emotionale Spannungen mit?
Vier Männer und drei Frauen allein auf einer Insel ... Die Kräfte und Allianzen verschieben sich ständig und der Überlebenskampf bringt wahrscheinlich nicht das Beste aus den Menschen heraus.
Und Sie – also Margret Wittmer?
Ich glaube, dass die Wittmers am Ende überlebten, weil kein Blatt Papier zwischen sie passte. Sie hatten den Willen, es gab eine klare Arbeitsteilung, gegenseitige Unterstützung und eine idente Lebensauffassung: Harte Arbeit wird belohnt und basta. Zum Abschluss: Wer war’s? Wir wissen es nicht. Aber das ist auch das Spannende. Jeder kann seine eigenen Schlüsse ziehen ...
„Der Herr der Fliegen“ trifft auf Dschungelcamp, mit einer ordentlichen Portion „50 Shades of Grey“. Aber im Ernst, nicht putzig weichgespült wie aktuell im Kino. Die Affäre auf der einsamen Insel des Galapagos Archipels zog weite Kreise. Sogar US-Präsident Franklin D. Roosevelt ließ es sich nicht nehmen, auf Floreana vorbeizuschauen und mit der überlebenden Familie Wittmer über die Ereignisse zu sprechen. Georges Simenon hat einen Roman darüber geschrieben, Cate Blanchett, Conny Nielsen und Diane Kruger sprechen in der US-Doku „Satan came to Eden“ die Frauenrollen.
Und jetzt gibt es das Theaterstück „Galapagos“ von Felix Mitterer. Zu sehen ab 16. März im Theater in der Josefstadt.