Historiker Peter Autengruber: "Kleingarten diente zum Überleben"
Von Uwe Mauch
Eine breitere Öffentlichkeit kennt sein „Lexikon der Wiener Straßennamen“, das bereits in neunter Auflage erschienen ist. Jetzt hat der Historiker Peter Autengruber einen historischen Abriss über die Wiener Kleingärten vorgelegt.
KURIER: Was hat Sie bewogen, sich eingehend mit den Wiener Kleingärten zu beschäftigen?
Peter Autengruber: Zunächst meine persönliche Betroffenheit. Ich bin selbst Pächter eines Kleingartens mit einem kleinen Gartenhaus im Kleingartenverein Predigtstuhl. Als vor zwei Jahren im Verein das 100-Jahr-Jubiläum anstand, hat man mich gebeten, eine Vereinschronik zu erstellen. Da habe ich bemerkt, wie viele interessante Geschichten die Wiener Kleingärtner erzählen können.
Was ist das Besondere an städtischen Kleingärten?
Die Wiener Kleingärten sind grüne Lungen in der Großstadt und haben eine Erholungsfunktion auch für die Allgemeinheit. In vielen Vereinen gibt es Schutzhäuser mit kulturellen Veranstaltungen. Und in den Vereinen selbst üben ehrenamtliche Mitarbeiter die Funktion einer Hausverwaltung für die Mitglieder aus.
Seit wann gibt es die Kleingärten?
Die Anfänge gehen auf die Jahrhundertwende zurück. Das „Rosental“ im Westen von Wien und „Neu-Brasilien“ auf der Alten Donau waren erste Gründungen. Durch die Nahrungsmittelknappheit und die Not im
Ersten Weltkrieg fand die Kleingartenbewegung einen steilen Aufstieg. Der Kleingarten diente zum Überleben. Es wurde Obst und Gemüse angebaut. Die Kleintierzucht war weit verbreitet. Besonders beliebt waren bei den Wienern die Kaninchen.
Und wann wurde der Kleingarten in
Wien zu einem fixen Bestandteil der Großstadt?
Durch Nachkriegsnot, Inflation und hohe Sockelarbeitslosigkeit erlebte das Kleingartenwesen eine Blütezeit in der Ersten Republik. Damals wurden überall Strukturen gebildet und Spielregeln festgelegt. Die Kleingartenordnung 1920 und 1928 legten die Größe der Lauben und Sommerhütten fest. Kleingärten wurden auch fixes Element der Flächenwidmung.
Apropos Spielregeln: Was ist für Sie das Außergewöhnliche?
Die Kleingärtner taten sich bereits 1916 in Form eines Zentralverbandes zusammen und betrieben und betreiben erfolgreich Lobbyarbeit für ihre Anliegen. Dass heute die Kleingärten einen derart hohen Stellenwert genießen, ist zu einem erheblichen Teil dem Zentralverband der Kleingärtner und Siedler zuzuschreiben. In den Vereinen selbst tragen die Obleute und ihre Mitarbeiter – wenig beachtet – viel dazu bei, dass das Vereinsleben funktioniert.
Inwiefern hat die Ära des Faschismus die hiesigen Kleingärtner in ihren Rechten beschnitten?
Die Austrofaschisten zerschlugen die sozialdemokratisch dominierten Verbandsstrukturen und propagierten das Dauersiedeln. In der Kürze der Zeit, in der sie regierten, kam aber nicht viel dabei heraus. Die Nationalsozialisten gliederten die Vereine in den „Reichsbund Deutscher Kleingärtner“ ein und verknüpften die Kleingartenfrage mit der Rassenfrage. Jüdische Pächter wurden vertrieben, der Kleingarten diente zum Erhalt „bäuerlich-deutschen Blutes“. Die Kleingärten waren für die Nationalsozialisten „Bollwerk gegen die zerstörerischen Kräfte der Stadt“.
Inwiefern hat der Wiederaufbau das Leben der Kleingärtner beeinflusst?
Während des
Zweiten Weltkriegs und in den 1950er-Jahren diente der Kleingarten ausschließlich zur Nahrungsmittelversorgung. Erst der Wirtschaftsaufschwung in den 1960er-Jahren machte aus den Gärten langsam Erholungsgärten. Das Wohnen im Sommer, das „Garteln“, stand spätestens in den 1970er-Jahren im Vordergrund. Folgerichtig erlaubte das Kleingartengesetz aus dem Jahr 1978 bereits 35-m²Häuser.
Und die Grün-Bewegung?
Mit dieser neuen Haltung kam in den 1980er-Jahren die Ökologie in den Kleingarten.
Welche Funktion haben Kleingartenanlagen in Großstädten heute?
Die Kleingartengesetznovelle aus dem Jahr 1992 ermöglichte erstmals das ganzjährige Wohnen. Zwei Jahre später wurden Unterkellerungen erlaubt, die verbaute Fläche kann heute 50 betragen. Kleingärten wurden zu einer vergleichsweise günstigen Wohnalternative. Der mögliche Eigentumserwerb veränderte freilich die soziale Struktur in den Vereinen. Lange dominierten Arbeiter, kleine Beamte und Gewerbetreibende den Kleingarten. Heute ist es dort, wo es Eigentum gibt, der gehobene Mittelstand.
Was schätzen Sie persönlich in Ihrem Kleingarten?
Man ist an der frischen Luft, aber doch in der Stadt. Auch wenn der Garten manchmal viel Arbeit bereitet, so erfreut man sich immer an der Ernte.