Leben/Gesellschaft

Glücklich, lernen zu dürfen

Sie ist in Pakistan aufgewachsen, er in Afghanistan. Vor ein paar Jahren sind der 19-jährige Mohammed Ali Ataie und die 16-jährige Mahrukh Syed nach Österreich gekommen – "dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten." Davon sind die beiden Schüler überzeugt.

Mohammed ist voll des Lobes für seine neue Heimat: "Hier ist alles perfekt. Ich bekomme die Bildung, die ich will. Die gebotenen Möglichkeiten muss ich nur nutzen." Mahrukh sieht das genauso: "In Pakistan musst du für gute Schulen viel bezahlen. Hier ist alles gratis."

Doch ganz so gratis ist auch in Österreich das Schulwesen nicht. Ohne eigenen Laptop kann ein Schüler heutzutage fast keine Matura mehr machen. Und die Kosten für Sprachreisen oder Projektwochen übersteigen das Budget vieler Eltern. Für begabte Schüler mit Migrationshintergrund gibt es deshalb seit sieben Jahren das "Start-Stipendium": Mahrukh und Mohammed bekommen aus diesem Topf Unterstützung. Mohammed konnte sich so eine Sprachreise nach Italien finanzieren. Zusätzlich gibt es für die Stipendiaten Kurse und Workshops, die sie beim Lernen – etwa beim Schreiben der vorwissenschaftlichen Arbeit – unterstützen.

Ehrgeizig

Was im Gespräch mit Mohammed und Mahrukh auffällt: Sie sind sehr zielstrebig. Und: Ihr Deutsch ist perfekt. Während des KURIER- Interviews unterläuft Mohamed kein einziger Grammatikfehler. Dabei ist er erst vier Jahre im Land: "Im Alter von 16 Jahren kam ich ohne Eltern nach Österreich. Ich sprach kein Wort Deutsch. Am Vormittag besuchte ich die Hauptschule, am Nachmittag lernte ich die Sprache." Den Hauptschulabschluss hat er bravourös gemeistert. Doch damit gab er sich nicht zufrieden. Sein Ziel: "Ich will die Matura machen und Medizin studieren."

Eine große Hürde auf dem Weg dahin war es, eine AHS zu finden, die einen so "alten" Schüler aufnimmt. "Das Brigittenauer Gymnasium in Wien war bereit, mich aufzunehmen und zu fördern. Auf die erste Deutsch-Schularbeit hatte ich einen Fünfer", erinnert er sich. Doch sein Professor hat den Schüler aus Afghanistan nicht aufgegeben: "Er war sehr streng mit mir, hat mich immer wieder verbessert und mir zusätzliche Übungen aufgegeben." Die Mühe hat sich gelohnt: "Heute schreibe ich fast nur noch Einser oder Zweier in Deutsch", sagt Mohammed stolz.

Für Mahrukh Syed war die Sprache ebenfalls die größte Hürde: "Ich kam mit fünf Jahren nach Wien und war damals nur ein paar Monate im Kindergarten. In der Volksschule tat ich mir anfangs sehr schwer, weil ich fast nichts verstand." Das ist Geschichte. Jetzt geht sie in die 6. Klasse der AHS Erlgasse. Wie Mohammed ist sie äußerst ehrgeizig: "Ich lerne viel – ich mache mehr als nur meine Hausübungen."

Warum sie so zielstrebig ist? "Ich will etwas erreichen", sagt sie bestimmt. Wie Mohammed möchte sie am liebsten Medizin studieren. "So kann ich anderen Menschen helfen", erklärt sie ihren Berufswunsch. Jus oder Pharmazie wären ebenso eine Option für ihre berufliche Zukunft.

Augenrollen

Ein großes Lob gibt es von den beiden für ihre Lehrer: "Die sind sehr engagiert und strengen sich wirklich an, dass wir in der Schule etwas lernen", sagt Mohammed. Wie sich das zeigt? "Sie rollen zum Beispiel nicht die Augen, wenn man etwas fragt. Sie erklären es so oft, bis man das hat", erzählt Mahrukh Syed.

Bildung als Geschenk, für das man dankbar sein kann. Das wissen nicht alle ihre Mitschüler zu schätzen – den beiden Schülern aus Afghanistan und Pakistan fällt das immer wieder auf: "Die Schule ist für viele hier selbstverständlich. Das gilt nicht nur für die Österreicher, sondern auch für viele Migranten, die hier aufgewachsen sind."

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KURIER: Welche Vorteile hat die Integration für die Zuwanderer und für die Einheimischen?

Heinz Fassmann: Für die Zuwanderer bedeutet Integration gesellschaftliche Teilhabe. Sie finden hier Arbeit und Wohnraum, sie sind Teil der Gesellschaft und finden hier eine zweite Heimat – sie fühlen sich hier wohl. Die Einheimischen profitieren von ihrer Arbeitskraft und von der durch ihre Arbeit gestiegenen Prosperität im Land.

Verstehen Sie Ängste vor Zuwanderern?

Ja. Denn die Neubürger konkurrieren zum Teil mit den Einheimischen auf dem Arbeitsmarkt, im öffentlichen Raum. Und die Zuwanderer sind oft besonders motivierte und risikobereite Menschen. Denn der Schritt, die Heimat zu verlassen, braucht viel Mut und Selbstvertrauen. Die Ängstlichen bleiben eher zu Hause.

Was kann die Politik machen, damit Integration gelingt?

Ich wäre schon einmal zufrieden, wenn die Integration nicht zum Gegenstand eines emotionalen Diskurses gemacht wird. Politik ist ja schließlich dazu da, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Die Verantwortlichen sollten bewusst machen, dass Integrationsprozesse in der überwiegenden Mehrzahl positiv verlaufen. Österreich ist dafür das beste Beispiel. Vor 150 Jahren hat man in Wien sehr viel Tschechisch gesprochen. Nach dem 2. Weltkrieg wurden dann sehr viele Flüchtlinge integriert. Derzeit leben 1, 6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund im Land – das Zusammenleben funktioniert meist konfliktfrei.

Was sind konkrete Maßnahmen, die der Staat setzen kann?

Das Wichtigste wäre, die Schulen gut auszustatten, damit eine gute Ausbildung gewährleistet wird. Auch ein gutes Stadtteil-Management unterstützt die Integration. Konkret hieße das: Grätzel aufwerten und Räume für Begegnungen schaffen, damit das Entstehen von sozialen und ethnischen Konflikten verhindert wird.