Leben/Gesellschaft

Gene: Ist das Leben bei der Geburt vorgezeichnet?

Das Leben ist eine Lotterie. Jeder Mensch zieht bei seiner Entstehung eine genetische Karte, die seine Entwicklung beeinflusst. Axel Meyer, renommierter Evolutionsbiologe und Professor an der Universität Konstanz, wollte seine Karten genauer kennen: Er ließ seine DNA untersuchen. Wie es ihm dabei ging, beschreibt er in seinem neuen Buch.

KURIER: Im Vorwort zu Ihrem Buch schreibt Harald Martenstein, dass der "Mensch keine Knetmasse sei, die sich im Namen einer Ideologie beliebig formen ließe". Was macht uns zu jener Persönlichkeit, die wir sind?

Axel Meyer: Es ist natürlich nicht immer alles in den Genen festgeschrieben. Genetik ist in Kombination mit Umwelteinflüssen, etwa Ernährung und Erziehung, zu sehen. Aber natürlich gibt es auch Krankheiten, gegen die die beste Ernährung und Medizin nichts tun kann.

Wie viel Freiheit – im Sinne von genetisch festgelegten Grenzen – bleibt uns dann?

Wenn man die genetische Prädisposition hat, Alzheimer zu bekommen, ist es auch ziemlich sicher, dass man es bekommt. Man kann dann auch nicht viel machen, in Bezug auf Gehirnjogging und gesunde Ernährung.

Alle Inhalte anzeigen

Sie und Ihre Frau haben sich bei der Firma "23andME" genetisch auf Krankheiten, Unverträglichkeiten etc. testen lassen.

Wir haben im Zuge der Recherche für mein Buch unser Genom charakterisieren lassen. Dabei kam heraus, dass mein Thromboserisiko etwa drei- bis vier Mal höher ist als bei anderen Männern meines Alters in Mitteleuropa, das hat sich später während des Schreibens am Buch bewahrheitet. Ich konnte auch meine Mutter überreden, ihre DNA untersuchen zu lassen. Ich wusste dann, dass sie diese Mutation nicht hat und ich sie von meinem Vater geerbt haben muss. Meine Frau stand dem Ganzen skeptischer gegenüber. Als wir unsere DNA eingeschickt haben, hat sie ihre Ergebnisse zwei oder drei Wochen vor mir bekommen. Sie saß zu Hause und war mit den Nerven fertig. Bei ihr stellte sich heraus, dass sie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit hat, Schuppenflechte zu bekommen. Sie hat hat gleich gegoogelt wie das aussehen kann, was sie beunruhigt hat. Ich habe ihr dann erklärt, dass es in ihrem Alter weniger beängstigend sein sollte – immerhin stirbt man nicht daran. Es ist natürlich so, dass nicht alle Leute diese statistische Aussagen genetischer Information gleich gut verstehen können.

Ist es sinnvoll, all diese Informationen über seinen Körper zu wissen, vor allem da dieses Wissen keine Lösung bietet?

In Bezug auf Alzheimer wird man auf der Webseite der Firma mehrmals gefragt, ob man es wirklich wissen will. Man muss da drei Mal klicken. Als Wissenschaftler bin ich der Meinung, dass es immer besser ist zu wissen als nicht zu wissen. Aber das muss jeder selbst entscheiden. Es ist aber nicht jeder in der Lage, mit diesen Informationen wissenschaftlich umzugehen. Man müsste diese Daten im Beisein eines Humangenetikers erklärt bekommen.

Die Fachbegriffe zur Erblichkeit sind ja vielen Menschen fremd.

Ich plädiere deshalb dafür, dass wissenschaftliche Erkenntnisse mehr in öffentliche Debatten einbezogen werden sollten, wo es offensichtlich um Biologie geht. Mittelwert und Standardabweichung sind viel aussagekräftiger als die individuelle Stimme in einer Talkshow. Ich habe lange in den USA gelebt und finde, dass Amerika wissenschaftsbejahender und technikfreundlicher ist als Deutschland. Wir können es uns nicht erlauben, immer nur die Probleme zu sehen, bei jeder neuen Technologie oder medizinischen Anwendbarkeit. Wenn es jetzt möglich ist, mittels DNA-Tests etwa Trisomie 21 im Blut festzustellen, ist das viel risikofreier für Mutter und Kind, als eine Fruchtwasseruntersuchung. Es steht allen Eltern frei, zu entscheiden, was sie mit dieser Information machen, ohne Intervention von Staat oder Ärzten.

Sie weisen in Ihrem Buch ausführlich auf die vielfältigen genetisch bedingten Unterschiede zwischen Mann und Frau hin. Wie groß ist der Unterschied wirklich?

Das kann man nicht pauschalieren. Es hängt davon ab, worum es geht. Wenn es um Körpergröße oder Langlebigkeit geht, gibt es einfach Unterschiede über alle Kulturen hinweg. Männer sind größer, Frauen leben länger.Es gibt fast keine Ausnahme für diese Regel. Männer laufen auch schneller, sind stärker. Ich finde es lächerlich, zu argumentieren, das habe etwas mit Kultur zu tun. Natürlich gibt es Frauen, die berühmte Baseballspielerinnen sind, es geht immer um statistische Aussagen, die jeweils auf weniger oder mehr Frauen und Männer zutreffen. Aber es gibt selbstverständlich genetische Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Alle Inhalte anzeigen

Das Genom wurde mit enormem finanziellen Aufwand sequenziert – aber wir wissen noch immer nicht vollständig, was unsere Gene tun, wie sie zusammenarbeiten.

Wir sind weit davon entfernt, das Genom wie eine Gebrauchsanweisung lesen zu können. Auf der anderen Seite wird es immer billiger, es untersuchen zu lassen. Ich bin sicher, dass wir innerhalb von zehn Jahren ein sehr viel tieferes Verständnis darüber haben werden. Auf einer Konferenz in Kalifornien kündigte der Leiter des weltgrößten Genomzentrums, des BGI in China, an, dass sie eine Milliarde menschliche Genome sequenzieren wollen. Und mit solchen Daten werden Geschäfte gemacht. Biotech-Firmen wie "23andME", die für 99 US-Dollar ihre Dienste anbieten, können damit keine Kosten decken, aber die gewonnenen Informationen an Pharmafirmen verkaufen, die versuchen, neue Medikamente zu entwickeln, oder Nebenwirkungen besser zu verstehen, aber auch vorherzusagen welche Haarfarbe jemand hat und ob die Haare lockig sind.

Durch all diese Daten wird der Mensch noch gläserner.

Man kann so viel von sich Preis geben, wie man will. Wenn man sich aber als jemand mit Merkmalen ausgibt, die man gar nicht hat, merken die Firma das sofort. Es wird heutzutage schon versucht, mittels "DNA-Steckbriefe" Gesichter zu rekonstruieren. Die Vorstellung, dass alleine von DNA das Gesicht eines Verbrechers nachkonstruiert werden kann, klingt für viele nach Science-Fiction. Aber es gibt Firmen und Labors in Amerika, China oder Holland, die daran arbeiten. Das US-Justizministerium fördert solche Forschung aus offensichtlichen Gründen.

Welche Rolle wird das Wissen um die Gene in Zukunft etwa bei Krebs-Therapien spielen?

Viele Firmen versuchen vorherzusagen, wie Chemotherapien auf einzelne Krebspatienten wirken. Aber das ist schwierig, weil die genetischen Variationen, die bei Krebs auftreten können, so unterschiedlich sind. Es ist meistens nicht das eine Gen, das eine Krankheit verursacht, sondern es sind viele Mutationen in vielen Genen, die zu vielen Sachen beitragen. Es wäre super, vorher sagen zu können, mit welchen Chemikalien und Dosen welche Art von Krebspatient behandelt werden kann.

Mittlerweile werden schon Embryonen genetisch verändert. Wie geht man als Naturwissenschaftler respektvoll und achtsam mit möglichen Gefahren um?

Ich sehe im Vorhinein nicht immer nur die Probleme und Risiken. Manches verursacht aber Fragezeichen oder ethische Bedenken. Wenn zum Beispiel in Singapur Managerinnen ihre Babys nicht mehr selber austragen, weil das ihre Figur ruiniert, oder homosexuelle Paare, damit sie mit ihrem Spermium Kinder bekommen können, Leihmütter benutzen, die oft arme Frauen aus Entwicklungsländer sind, finde ich das ethisch fragwürdig. Oder jene Frau aus Deutschland, die mit 65 Jahren Vierlinge bekommen hat. Das alles ist ein Hinweis darauf, dass Moral nie universal ist. Wer sagt, dass unsere Moral besser ist als in Singapur oder in der Ukraine? Es gibt keine universelle Gesetzgebung. Ich bin mir sicher, dass alles was gemacht werden kann, auch gemacht wird. Es wäre naiv zu glauben, dass sich die Wissenschaftler in allen Ländern zurückhalten würden, das Machbare nicht zu probieren.

„Adams Apfel und Evas Erbe. Wie die Gene unser Leben bestimmen und warum Frauen anders sind als Männer“ erklärt Axel Meyer, wie Informationen zu Genetik einzuordnen sind. Es erscheint ab morgen Montag im C. Bertelsmann Verlag und kostet 20,60 €.

Alle Inhalte anzeigen