Leben/Gesellschaft

"Forschung ist die Basis"

Kompliziert und unbegreiflich – so sehen manche die Wissenschaft. Was hat sie schon Großartiges für diese Welt geleistet, fragen sich andere. Einiges, sagt Pascale Ehrenfreund. Sonst könnten Sie zum Beispiel nicht auf Ihrem Smartphone herumtippen. Und auch in Zukunft kommt der Wissenschaft eine Schlüsselrolle bei der Lösung globaler Herausforderungen wie Klimawandel und Migration zu, ist die Präsidentin des Wissenschaftsfonds FWF überzeugt.

KURIER: Beim Science Talk im September war es das Thema: Wie kann Österreich wieder einen Nobelpreisträger hervorbringen? Allgemeiner Tenor: Der Grundlagenforschung muss mehr Zeit und Geld gewidmet werden. Warum ist das so wichtig?

Pascale Ehrenfreund: Die Grundlagenforschung ist ein wichtiger Pfeiler in der Innovationskette, sie ist die Basis, auf der alles aufgebaut ist. Dazu muss die Grundlagenforschung in gewisser Weise frei sein, weil sie auch unerwartete Ergebnisse liefern kann. Auch negative Resultate können neue Wege aufzeigen, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Auf der anderen Seite sind es Steuergelder, die in die Grundlagenforschung fließen, daher soll man auch deren Nutzen und Wirkung für die Gesellschaft zeigen.

Genau das ist für Außenstehende oft schwer nachvollziehbar. Welche Beispiele gibt es, wo Grundlagenforschung zum alltäglichen Nutzen wurde?

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Wenn man sich etwa die Geschichte eines iPhones ansieht und woher die ganzen Einzelteile dieser Computer-Technologie ursprünglich kommen, werden Sie in der Grundlagenforschung fündig. Die Röntgen-Technologie ist ein sehr gutes und allgemein bekanntes Beispiel unmittelbar umgesetzter Grundlagenforschung. Auch Erkenntnisse aus der Medizin sind enorm wichtig, da ihr Nutzen für die Gesellschaft greifbar ist.

Der FWF fördert mit zirka 200 Millionen Euro die Grundlagenforschung – zu wenig Geld, klagen Wissenschafter.

Österreich investiert, im Vergleich zu anderen Ländern, wenig Geld in die Grundlagenforschung bzw. den FWF. Momentan ist das Budget stabil, aber die Aussichten sind nicht sehr rosig. Das Antragsvolumen von Unis und außeruniversitären Forschungsinstituten beim FWF steigt kontinuierlich, und daher müssen wir immer öfter auch sehr gute Anträge ablehnen. Das führt dazu, dass das vorhandene Potenzial in Österreich nicht ausgeschöpft wird bzw. verloren geht. Wir sind die einzige Organisation, die Grundlagenforschung fördert – das ist eine große Verantwortung. Die Scientific Community (Wissenschaftsgemeinde, Anm.) ist verständlicherweise beunruhigt, das richtete sich gegen uns und die Politik. Wir müssen deshalb kreative Lösungen finden, um neue Programme aufzubauen und Initiativen zu setzen. Da helfen zum Beispiel Privatmittel. Damit die Grundlagenforschung stabil und nachhaltig gefördert werden kann, bedarf es zunächst öffentlicher Mittel.

Nach welchen Kriterien verteilen Sie bzw. der FWF das Geld?

Wir haben ein wissenschaftliches internationales Peer-Review-Verfahren. Alle Gutachter für unsere Projekte sind aus dem Ausland. Wir haben ein Kuratorium, das sich mit diesen Gutachten auseinandersetzt. Grundsätzlich können Wissenschaftler aus allen Fachrichtungen ansuchen, die Themen werden also von den Forschern selbst bestimmt. Einziges Kriterium für eine Förderung ist wissenschaftliche Exzellenz. Betrachtet man die Mittelvergabe über die letzten Jahre, so gingen im Schnitt 40 Prozent in den Bereich der Life Sciences (umfasst Bereiche wie Medizin, Biochemie, Molekularbiologie, Anm.), weitere 40 Prozent an Naturwissenschaften und Technik sowie 20 Prozent an Sozial- und Geisteswissenschaften.

"9826 Ehrenfreund 2114 T-3", so heißt jener Asteroid, der nach Ihnen benannt wurde. Wie kam es dazu?

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Ich kann Ihnen vorab schon sagen, der Asteroid ist für die Erde nicht gefährlich (lacht). Ich habe mich zehn Jahre lang mit kosmischem Staub beschäftigt und 1999 in Astrochemie habilitiert – damals als eine der wenigen Frauen in diesem Bereich. Eine Kommission hat mir als Anerkennung den Asteroiden zuerkannt.

Kosmischer Staub klingt komplex. Was fasziniert Sie so an Ihrem Gebiet?

Ich beschäftige mich mit dem Ursprung unseres Sonnensystems und dem des Lebens auf der Erde. Ein spannender Bereich, der auch mit Raumfahrt-Missionen verbunden ist. Wie Sie bei der Rosetta-Mission gesehen haben, bedarf es langer Vorbereitung.

20 Jahre lang wurde an der Mission gearbeitet. War es das wert?

Das ist ein unglaubliches Resultat für die Wissenschaft. Sie müssen bedenken, dass auch Leute, die nicht unmittelbar an der Mission mitgearbeitet haben, in den nächsten Jahren von den Daten profitieren. Sie werden öffentlich und können interpretiert werden.

Sie arbeiten beim Experiment COSAC mit – ein Instrument, das organische Stoffe auf dem Kometen identifiziert.

Wir wissen, dass im Kometenschweif viele organische Moleküle gemessen worden sind. COSAC hat zum ersten Mal organische Stoffe von der Kometenoberfläche gemessen. Wir versuchen, die Daten wie ein Puzzle zusammenzubauen, um zu erfahren, wie der Komet aufgebaut ist: was ist seine innere Struktur, seine Oberfläche, wie ist der Staub, welche Beschaffenheit hat das Eis? Ein Instrument fand heraus, dass unter der weichen Staub-Oberfläche hartes Eis ist. Die Philae Daten werden jetzt nach und nach publiziert. 2015 wird eine Spezialausgabe des Science-Magazine erscheinen.

Wie kann Wissenschaft zu einer besseren Welt beitragen?

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Zu den wichtigsten Themen gehören die Global Challenges (globale Herausforderungen, Anm). Das ist fachübergreifend und betrifft Energie, Klimawandel, Migration etc. Damit müssen sich alle Länder und Wissenschafter beschäftigen. Was ich mir wünsche: Wir müssen eine neue Generation erziehen, die sich interdisziplinär damit beschäftigt. Es wäre wichtig, Doktoratsschulen aufzubauen und sie auf diese Probleme auszurichten. Wo die Doktoranden verschiedenster Richtungen lernen, miteinander zu arbeiten.

Die Astrobiologin

Pascale Ehrenfreund ist seit 2013 Präsidentin des Fonds zur Förderung der wiss. Forschung (FWF). Ihr Gebiet: Das Auffinden organischer Moleküle im Universum. Daneben ist die Wienerin Professorin für "Space Policy and International Affairs" an der George Washington University sowie Lead Investigator am NASA Astrobiology Institute.

Der Wissenschaftsfonds

Er wurde 1968 gegründet. Mit der Vortragsreihe "Am Puls" macht der FWF Forschung für die Öffentlichkeit zugänglich. Infos unter: www.fwf.ac.at

Rosetta. Die Rosetta-Sonde und der Lander Philae sollen den Kometen "67P/Tschurjumow-Gerassimenko" noch in den nächsten neun Monaten begleiten. Ab März wird der Komet nahe an der Sonne positioniert sein, dann kann der – derzeit ruhende – Lander seine Batterien wahrscheinlich wieder aufladen und neue Daten zur Erde schicken.

Global Challenges. Die Bundesregierung, die Privatwirtschaft, Forscher und die Gesellschaft als Ganzes müssen sich globalen Herausforderungen wie dem demografischen Wandel, Wasserknappheit, Energie- und Klimawandel, Armutsbekämpfung, globalen Migrationsströmen, neuen Wegen der Nahrungsmittelproduktion, Erhalt der Artenvielfald und Sicherung des Gesundheitssystems gemeinsam stellen. Dafür bedarf es der Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Subsysteme. Die Grundlagenforschung in allen wissenschaftlichen Fachbereichen hat das Potenzial, dabei eine zentrale Rolle zu spielen. Österreich hat die Verantwortung, laufend neue Generationen von Wissenschaftlern heranzubilden, die den komplexen Herausforderungen ihrer Zeit entgegentreten können.

Big Data. Das sind große und komplexe Datenmengen, die von Unternehmen, Regierungen und weiteren Institutionen gesammelt und für unterschiedliche gesellschaftliche Innovationsprojekte genützt werden können. So sollen gesamtgesellschaftliche Probleme besser nachvollziehbar sein und angemessene Lösungsansätze formuliert werden. Um mit dem umfangreichen Datenmaterial arbeiten zu können, müssen Datenverarbeitungsprozesse und kritische Auswahl- und Analysefähigkeiten entwickelt werden. Auch gibt es keine Garantie dafür, dass die Vernetzung und zielgerichtete Auswertung aus verschiedenen Quellen stammender Daten zu großen sozialen Innovationen führen. Andererseits spielt der Datenschutz eine große Rolle. Aus der Verarbeitung einer Vielzahl an komplexen Daten verspricht man sich, bisher unbekannte Zusammenhänge, Muster und Informationen zu gewinnen, die bei der Bewältigung der Global Challenges wie dem Klimawandel, verbesserten Gesundheitssystemen, der Armutsbekämpfung und der Ressourcenknappheit von großer Bedeutung sein können.