Leben/Gesellschaft

Flirt oder Belästigung: Wo liegt die Grenze?

Sexismus, Machos, Machtmissbrauch – die Enthüllungen um den Filmproduzenten Harvey Weinstein haben eine globale Debatte ausgelöst, ein Ende ist nicht in Sicht. Immer mehr Schauspielerinnen berichten von Übergriffen männlicher Vorgesetzter, zuletzt beschuldigten 38 Frauen den US-Regisseur James Toback (72) der sexuellen Belästigung.

Dabei geht es längst nicht mehr nur um Hollywood. Unter dem Hashtag #metoo machten Frauen aus aller Welt ihre persönlichen Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen öffentlich, darunter hochrangige Politikerinnen wie die schwedische Außenministerin oder SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles sowie Facebook-Chefin Sheryl Sandberg. In Österreich sorgt indes ein anderer Fall für Diskussionen: Eine Journalistin wirft dem Chefredakteur einer Wiener Zeitung, Reinhard Göweil, vor, ihr in einem Facebook-Chat sexuelle Avancen gemacht zu haben. Er habe eine "Trottel-Nachricht" geschrieben und sich sofort dafür entschuldigt, sagt der 57-Jährige heute. Er wurde mittlerweile fristlos entlassen.

Für Männer und Frauen stellt sich die Frage: Wann ist es ein Flirt, wann eine sexuelle Belästigung? Der KURIER bat Experten um Antworten.

Wo liegt die Grenze zwischen einem Flirt und sexueller Belästigung?

Für Ingrid Moritz von der Arbeiterkammer Wien ist klar: "Wenn es nicht nur für Betroffene, sondern auch für andere nachvollziehbar ist, dass es sich um sexuelle Belästigung handelt, ist es eine." Das gilt nicht nur für üble Anmachen oder Grapschereien. Auch anzügliche Fotos auf dem Bildschirm oder schlüpfrige Witze zählen dazu. Typisch sei eine Steigerung: "Am Anfang ist es eine scheinbar zufällige Berührung, doch diese werden häufiger und länger. Gerade junge Kolleginnen sind am Anfang naiv und realisieren erst später, was ihnen widerfährt."

Für Ingrid Nikolay-Leitner, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft, ist ein Flirt etwas, "das beide Seiten wollen, während eine sexuelle Belästigung von einer Seite unerwünscht ist". Die Trennlinie sei gar nicht so schwer zu ziehen, ist sie überzeugt: "Die Männer kennen da den Unterschied sehr wohl." Man müsse seinem Bauchgefühl vertrauen, sagt der Wirtschaftspsychologe Othmar Hill: "Die Grenze ist da, wo es für den anderen unangenehm wird. Da kann ein Blick reichen." Im Endeffekt gehe es bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz immer um Machtausübung. "Das ist eine Generation, die darauf sozialisiert wurde. Die Frau wird in Ecke gedrängt."

Wie viele Fälle sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gibt es im Jahr?

Bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft gehen jährlich ca. 200 Beschwerden ein – die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen. "Viele melden den Vorfall aus Angst vor einer Täter-Opfer-Umkehr nicht", sagt Hill. In den überwiegenden Fällen sind Frauen die Opfer, es gibt aber auch Fälle, "wo junge Männer sexuell belästigt werden", so AK-Expertin Moritz.

Wie ist die gesetzliche Regelung?

Zivilrechtlich gilt § 6 des Gleichbehandlungsgesetzes. Demnach liegt eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vor, wenn jemand sich so verhält, dass es für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist und somit ein Arbeitsumfeld geschaffen wird, das einschüchternd, feindselig oder demütigend ist. Wichtig: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, so ein Verhalten zu unterbinden. Tut er es nicht, kann auch er zur Verantwortung gezogen werden. Wer belästigt wird, kann Ansprüche vor dem Arbeits- und Sozialgericht oder der Gleichbehandlungskommission innerhalb eines Jahres geltend machen.

Wie sollen Betroffene reagieren?

"Notieren Sie, wann wer was gesagt hat", sagt Ingrid Nikolay-Leitner. Die Gleichbehandlungs:App hilft bei der Dokumentation, weil sie auch darauf aufmerksam macht, was als Belästigung zu gelten hat. Psychologe Hill rät, unbehagliche Gefühle sofort zu äußern. "Wichtig ist, eine Ich-Botschaft zu formulieren, also ‚Ich fühle mich unwohl‘." Und er verweist auf die VW-Regel: "Statt einem Vorwurf einen Wunsch formulieren – also wie man in Zukunft anders behandelt werden möchte." Ein schlagfertiger Konter kann anlassigen" Kollegen den Wind aus den Segeln nehmen. "Wenn der Chef zu lange auf den Busen schaut, werfen Sie ihm entgegen: ‚Na, gefällt Ihnen, was Sie sehen?‘" Beobachtet ein unbeteiligter Dritter, wie eine Kollegin bedrängt wird, sollte er den Bedränger unbedingt in einem Vier-Augen-Gespräch auf sein Fehlverhalten hinweisen, so Hill.

Welche Konsequenzen kann eine Anzeige haben?

Gibt es ein zivilrechtliches Verfahren und die Klägerin gewinnt, muss der Geklagte mindestens 1000 Euro Strafe bezahlen. "Es gibt Fälle, in denen der Beklagte den Spieß umdreht und selbst wegen übler Nachrede vor Gericht zieht", weiß Ingrid Nikolay-Leitner.

Welche Anlaufstellen gibt es für Betroffene?

Die Frauenhelpline gegen Gewalt erreichen Sie rund um die Uhr unter 0800 222 555. www.frauenhelpline.at Die Gleichbehandlungsanwaltschaft berät ebenfalls kostenfrei Montag bis Donnerstag von 9 bis 15 Uhr, Freitag bis 12 Uhr 0800 206 119, eMail: service@bka.gv.at.