Wer hat die Vorherrschaft im Klassenzimmer?
Die Eltern sind wütend: Die Lehrerin habe die Klasse nicht unter Kontrolle, die Methoden seien veraltet, die Pädagogin sei ausgebrannt. Deshalb ist klar: "Frau Müller muss weg." So wettern Eltern in dem gleichnamigen Film von Sönke Wortmann und gehen auf Konfrontation mit der Lehrerin. Sogar eine Unterschriftenliste aller Eltern soll Frau Müller überzeugen, die Klasse abzugeben. Doch schnell zeigt sich, dass die Vorwürfe nur vorgeschoben sind: Ihr eigentlicher Antrieb ist die Angst, dass ihre Kinder es nicht ins Gymnasium schaffen.
Eine Angst, die viele österreichische Eltern kennen, wie KURIER-Familycoach und Erziehungsberaterin Martina Leibovici-Mühlberger weiß: "Wir haben eine Maschinerie, die nur die AHS als geglückte Bildungskarriere sieht. Logischerweise drängen Eltern darauf, dass ihr Kind diese Schule besucht."
Eltern setzen sich unter Druck, und geben diesen an Lehrer und Kinder weiter: "Es gibt Achtjährige, die in der 3. Klasse Volksschule schlaflose Nächte und Gastritis haben, weil die Anforderungen zu hoch sind", berichtet sie aus ihrer Praxis. Und die Lehrer – die ja meist Lehrerinnen sind – wissen oft nicht, wie sie damit umgehen sollen. Sie verschenken lieber Noten, bevor sie sich auf Diskussionen mit den Eltern einlassen.
Leibovici-Mühlberger sieht die Ursache darin, dass "Lehrer sich zu selten ihrer Professionalität bewusst sind. Sie müssten sich als die Pädagogen und Didaktiker sehen und auch transportieren, dass sie die Profis im Klassenzimmer sind." Hinzu kommt, dass die Schulpartnerschaft – das Miteinander von Schülern, Lehrern und Eltern – in Österreich schlecht entwickelt ist.
Eltern als Lehrer
In der Kommunikation mit Eltern fühlen sich Lehrer oft im Stich gelassen. Auch im Studium werden sie darauf nicht vorbereitet. Dabei wäre das wichtiger als je zuvor, wie Sabine Felgitsch weiß. Sie ist Mutter dreier Kinder und berät Eltern und Lehrer an Schulen: "In den letzten zehn Jahren hat sich das Selbstbild vor allem der Mittelschicht-Eltern sehr verändert", stellt sie fest: "Sie sind verunsichert und sorgen sich sehr um die Zukunft ihres Kindes. Deshalb besuchen sie Vorträge und lesen Bücher wie die des Hirnforschers Gerald Hüther über optimales Lernen. Sie sind überzeugt, dass ihr Kind nur dann für die Welt gerüstet ist, wenn es bestmöglich gefördert wird." Deshalb werden früh Schwächen und Krankheiten diagnostiziert, für die es eigene Therapien wie den Wut-Doktor oder Ergotherapeuten gibt. "Diese Eltern haben genaue Vorstellungen davon, wie ihre Kinder zu unterrichten sind. Was sie von der Schule fordern, kann diese nicht leisten", so Felgitsch. Weil sie den Lehrern nicht vertrauen, spielen sie Ersatzpädagogen: "Wichtiger ist es aber, dass sie eine gute Beziehung zum Kind aufbauen."
Leibovici-Mühlberger kritisiert diese Entwicklung: "Wer nur auf Leistung setzt, produziert Bildungsidioten. Gelernt wird nur für die Prüfung, Zusammenhänge interessieren nicht." Sie wünscht sich daher, dass auch die soziale Kompetenz bei der Aufnahme ins Gymnasium eine Rolle spielt.