Leben/Gesellschaft

Was bringen Noten?

Noten gibt es früher oder später in jedem Land der Welt: in Südkorea bereits ab der 1. Klassen, in Finnland spätestens in der 7. Schulstufe. In beiden Ländern sind die Schüler im internationalen Vergleich top. In Österreich soll es zukünftig erst in der 4. Klasse Volksschule Noten von eins bis fünf geben – so steht es im neuen Schulrechtsentwurf des Ministeriums.

Unterschiedliche Modelle

Die Beispiele Südkorea und Finnland zeigen: Die Form der Benotung sagt nichts darüber aus, wie erfolgreich ein Schulsystem ist. Sehr wohl aber darüber, wie der Lernerfolg zustande kommt. In asiatischen Ländern wird Leistung durch Konkurrenzdruck erzeugt. In Skandinavien lautet das Ziel hingegen: Alle bis zu einem bestimmten Ziel bringen. Tut sich ein Kind schwer, helfen Schulpsychologen.

Deshalb hält Bildungspsychologin Christiane Spiel das Aus der Ziffernnoten für sinnvoll, wünscht sich aber einen fließenden Übergang: "Man muss die Lehrer und Eltern mitnehmen. Schließlich sind die Österreicher mit Noten aufgewachsen, wenn da etwas Neues kommt, schafft das erst einmal Unsicherheit und wirkt bedrohlich." Das zeigen etwa Befragungen aus Deutschland, wo sich nur jeder Dritte vorstellen kann, Noten abzuschaffen. Und in manchen Schweizer Kantonen wurden sie per Volksabstimmung wieder eingeführt, nachdem sie zuvor abgeschafft worden waren.

Neuer Vorschlag

Spiels Vorschlag: In einer Übergangsphase solle man Ziffernnoten parallel zu verbalen Beurteilungen beibehalten und von Schulen lernen, die bereits Erfahrung in der alternativen Leistungsbeurteilung haben.

Sonja Schärf, Direktorin der Volksschule Frohsdorf (NÖ), ist gerade in einem Umstellungsprozess, den sie behutsam angeht: "Wir haben zuvor einen Kompetenzkatalog erstellt. Darin steht, was ein Kind wissen soll und welche Sozialkompetenzen es erwerben soll – also z. B., wie selbstständig es arbeitet."

Genau darin sieht Spiel den Vorteil der neuen Bewertung: "Zeugnisse werden transparenter. Denn wofür seht ein ,Gut‘? Über solche Fragen wird mehr diskutiert werden. Ist der Schüler wenig begabt, dafür fleißig und im Unterricht aufmerksam? Oder ist er blitzgescheit, hat aber eine schlechte Arbeitshaltung? Bei einer verbalen Beurteilung erfahren Eltern mehr über ihr Kind."

Mehr als nur das Fach

Überhaupt plädiert Spiel dafür, dass in Zeugnissen weitaus mehr bewertet werden sollte als nur das fachliche Können: "Wie reagiert er bei Auseinandersetzungen, trägt er Verantwortung und ist er ein guter Teamplayer? Sozialisation ist eine wichtige Aufgabe der Schule, aber es gibt keine Bewertung dafür; auch ein zukünftiger Arbeitgeber will so etwas wissen."

Damit wäre eine wichtige Funktion von Zeugnissen benannt – sie sollen Auskünfte über eine Person geben. Als Erste erfahren Eltern und Schüler in den KEL-Gesprächen (Kinder-Eltern-Lehrer-Gespräche), wo das Kind steht. "Wichtig sind differenzierte, auf das individuelle Kind bezogene Rückmeldungen, aus denen das Kind weiß, wo es steht, wo seine Stärken, wo seine Schwächen sind und wie es sich weiterentwickeln kann. So kann man die Lernmotivation aufrechterhalten, die leider im Laufe der Schulzeit häufig abnimmt." Eine wesentliche Funktion hat das Zeugnis in den Übergängen. Für Volksschüler entscheidet es über die Frage: Gymnasium ja oder nein?

Auch Bildungsforscher Stefan Hopmann hält KEL-Gespräche für sinnvoll: "Wenn das Kind dabei ist, können weder Eltern noch Lehrer dem anderen etwas vormachen und sagen: Zu Hause ist das ganz anders." Der Entwurf des Ministeriums sei dennoch unausgegoren: "Lehrer sollen die Bewertungen so abgeben, dass sie in Ziffernnoten umgesetzt werden können. Das führt zu standardisierten Leerformeln ("du hast dich sehr bemüht", Anm.) in Zeugnissen."

„Feedback-Kultur“, das ist für die Pädagogin Susanne-Maria Kappl seit acht Jahren das Maß aller Dinge. Damals hat sie in der öffentlichen Volksschule von Allhartsberg, einem 2000-Einwohner-Ort zwischen Amstetten und Waidhofen an der Ybbs, die Schulautonomie genützt und das System an ihrer Schule ordentlich umgekrempelt.

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„Wir haben damals im Team beschlossen, die Noten für die ersten beiden Schulstufen abzuschaffen“, erzählt die Direktorin. Anstelle der Noten kam das Feedback der Lehrer ins Spiel: „Regelmäßig führen sie mit jedem Kind ein sogenanntes Tutoren-Gespräch. Dabei werden offen die Stärken und Schwächen der Kinder analysiert.“

Inzwischen kommt es auch vor, dass Kinder von sich aus das Gespräch mit ihren Lehrern suchen („Denn sie lernen bei uns, sich selbst wahrzunehmen“). Inzwischen sind die Lernerfolge derart gut, dass sich niemand mehr nach Noten sehnt („Am Anfang waren einige Eltern schon skeptisch“). Also wurde das notenlose Regime auf die dritte Schulstufe ausgeweitet.

Haus der Begegnung

„Im Farbengarten“ nennt sich die Schule im Mostviertel auch. Immer mittwochs kommen Interessierte teils von weit her, um sich selbst ein Bild vom Unterricht ohne Noten zu machen. Der Andrang ist riesig, die Warteliste reicht bereits weit ins nächste Schuljahr hinein. Direktorin Kappl erzählt ihren Besuchern auch von der Begegnungskultur in ihrem Haus mit sieben Klassen und 125 Schülern: „Lehrer und Schüler können bei uns auf Augenhöhe reden.“

Das Modell für ihre Schule hat sie übrigens nicht im Ausland gesehen und kopiert, sondern nach eigenen Vorstellungen entwickelt: „Mir war das persönlich ein Anliegen.“ Susanne-Maria Kappl beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Erkenntnissen der Hirnforschung: „Und die kommt doch klar zu dem Ergebnis, dass Noten nicht förderlich sind für die persönliche Entwicklung eines Kindes.“ Zudem können Eltern mit der Auskunft, dass ihr Kind das Gymnasium schaffen wird oder nicht, mehr anfangen als mit Ziffern in einem Zeugnis.

„Wenn die Abschaffung der Noten damit begründet wird, dass in der Volksschule niemand mehr durchfallen kann, ist das eine absolute Themenverfehlung, weil Durchfallen in der Volksschule ohnehin nicht relevant ist. Das sind absolute Einzelfälle.“
Paul Kimberger, Pflichtschullehrer-Gewerkschaft

„Eine flächendeckende verbale Beurteilung erfordert eine viel intensivere Auseinandersetzung mit dem einzelnen Schüler und den Eltern.“
Christian Morawek, Pflichtschul-Elternvereine

„Der ÖVP ist das Bekenntnis zu Leistung wichtig. Und wir nehmen Autonomie ernst: Wir vertrauen den Experten vor Ort – also den Lehrern – und wollen nicht alles zentralistisch regeln.“
Brigitte Jank, ÖVP

„Es braucht eine vernünftige Leistungskomponente. Das generelle Abschaffen ist kein Thema.“
Harald Mahrer, ÖVP

„Kaum gibt es einen zukunftsweisenden Vorschlag aus dem Unterrichtsministerium, schon drückt die ÖVP auf die Stopp-Taste.“
Harald Walser, Die Grünen

„Es ist nun höchst an der Zeit, dass wir aus den Hunderten Schulversuchen herauskommen. Alternative Feedbacksysteme haben sich hundertfach bewährt.“
Matthias Strolz, Neos

„Ob am jeweiligen Schulstandort mittels Noten oder verbal beurteilt wird, müssen die Schulpartner entscheiden können. Eine ausschließlich verbale Beurteilung halte ich aber für problematisch.“
Astrid Ebenberger, Katholischer Familienverband