"Eine Predigt ist keine Vorlesung"
Von Ingrid Teufl
Zehntausende hörten auf dem Petersplatz in Rom zu, Tausende klickten das Video auf YouTube an – die ersten Predigten von Papst Franziskus erregten große Aufmerksamkeit. Viele waren angetan vom neuen Stil: „Bemerkenswert, mit beiden Beinen in der Welt stehend und bereit, sich der freien Rede auszusetzen“, sagt Ewald Huscava, Domprediger von St. Stephan in Wien. Wolfgang Tielmann, evangelischer Theologe und Journalist, analysierte die Predigten für die deutsche Wochenzeitung Die Zeit. Ihm fiel der „gewinnende Charakter“ des Argentiniers auf. „Man spürt, er bemüht sich sehr um die Menschen.“
Zu Ostern wird wohl wieder recht genau hingehört. Was aber macht eine gute Predigt aus? Wie reißt man die Zuhörer mit? „Das innere Engagement ist wichtig. Wenn das gelingt, überträgt sich diese Energie auf die Zuhörer“, sagt Domprediger Huscava, der als Dekan an der Uni Wien und der Hochschule Heiligenkreuz Predigtlehre unterrichtet. „Die Aufgabe eines Predigers ist, das Wort Gottes mit dem Alltag der Menschen zu verbinden.“
Authentisch
Neben Lebendigkeit und Authentizität macht vor allem der Mensch, der gerade zum Kirchenvolk spricht, das Wesen der Predigt aus: Jeder Prediger hat seinen persönlichen Stil. Das zeigt der Vergleich mit Franziskus’ Vorgänger Benedikt XVI. Der las fast ausschließlich vom Blatt. Huscava: „Dessen Sprache ist sehr geschliffen, er kann auch fließend ein Buch diktieren.“ Tielmann erlebte die Predigten von Benedikt als „gehaltvoll, anspruchsvoll. Der Unterhaltungswert war aber niedrig.“ Dieser sei heute aber unverzichtbar. „Dieses Bedürfnis muss befriedigt werden. Wer nur aufs Belehren ausgerichtet ist, wird es schwer haben.“
Huscava legt ebenso Wert auf freie Rede, Erzählkompetenz und bildliche Vorstellungskraft: „Eine Predigt ist keine Vorlesung. Aber sich hinstellen und einfach drauflosplaudern geht auch nicht. Auch eine freie Rede muss vorbereitet und durchdacht werden.“ Für ihn macht der schriftliche Teil etwa ein Drittel einer Predigt aus.
Predigtpreis
Auf genau dieses Drittel konzentriert sich der Predigtpreis (www.predigtpreis.de). Er wird alljährlich an herausragende Predigten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vergeben. Wesentlich für die Auswahl aus den bis zu 400 Einsendungen sei, „ob jemand das Wort Gottes zum Leuchten bringt“, erklärt Jurymitglied Wolfgang Tielmann. Unter den Preisträgern ist etwa der heuer verstorbene Innsbrucker Altbischof Reinhold Stecher. „Aus unserer Sicht jemand, der Kirche so repräsentierte, wie wir uns das im positiven Sinn vorstellen.“
In den evangelischen Kirchen steht die Bibel im Zentrum des Glaubens, die Predigt hat deshalb traditionell mehr Gewicht als in der katholischen. Das ist in der unterschiedlichen Feierkultur der Schwesterkirchen begründet. So heißt es: Wenn ein Protestant keine gute Predigt hört, ist der Gottesdienst verloren. Das wäre beim höchsten Kirchenfest des Jahres fatal. „Der Festgottesdienst am Ostersonntag hat gleich zwei Höhepunkte: Die Auferstehung Jesu – und die Predigt“, erklärt Oberkirchenrätin Hannelore Reiner, zuständig für die Pfarrer-Ausbildung in ganz Österreich. Sie vertritt am Ostersonntag in Linz-Leonding eine Kollegin und feilt bereits an ihrer Predigt. Sie wählte die Auferstehungsszene am Grab Jesu mit Maria Magdalena. Mit moderner Lyrik will sie den Bogen zu den heurigen weißen Ostern schlagen. „In einem Gedicht erinnern mit Schnee bedeckte Grabhügel an Leichentücher. Und die hängen auch beim Grab Jesu.“
... das Wort „predigen“ vom lateinischen „praedicato“ kommt? Damit ist die Verkündigung des christlichen Wortes gemeint.
... die Lehre vom Predigen Homiletik heißt? Es stammt vom griechischen „Homilie“, das so viel wie Gespräch, Rede oder Unterricht bedeutet.
... das Osterfest aus katholischer Sicht bereits am Gründonnerstag beginnt? Es gibt eine gemeinsame, zusammenhängende Liturgie an Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag.
...sich der Auferstehungsgedanke bereits am Abend des Karsamstags entfaltet? Symbolisiert wird er durch das Entzünden der Osterkerze. Vollends entfaltet sich die Auferstehung dann erst am Ostersonntag, das traditionell mit einem Hochamt gefeiert wird.
... die ersten Predigten nach Jesu Tod von seinen Jüngern gehalten wurden? Sie schrieben sie auch auf – daraus entstand das Neue Testament.
... sich die Praxis der themen- und stichwortzentrierten Rede im Mittelalter entwickelte? Davor war es üblich, Texte lediglich Stück für Stück auszulegen.
...durch die Aufwertung der Eucharistie (Kommunion; Erinnerung an das letzte Mahl Jesu) die Bedeutung der Predigt im Mittelalter abnahm? Im Spätmittelalter kam es zu einer eigenen Gottesdienstform, der Predigtgottesdienst, entstand.
...Predigten in der Barockzeit überhaupt nur zwischen den Messen gehalten wurden?
... die Predigt mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1963–1965) aufgewertet wurde? Davor war sie kein organischer Bestandteil der Messe. Der Priester wechselte sozusagen seine Rolle – vom Altar auf die Kanzel. Seit dem Konzil ist die Predigt ein elementarer, in die Messfeier eingebetteter Teil.
... auch ausgebildete Laien predigen dürfen? In der evangelischen Kirche ist dies ausgeprägter, da Gottes Wort im Mittelpunkt steht.
...die sprichwörtliche Gardinenpredigt Vorhaltungen meint, die eine Ehefrau ihrem Mann erst im Bett und nicht vor anderen Leuten macht? Gardinen nannte man früher die Bettvorhänge. Das Wort ist zwar erst ab dem Jahr 1743 nachgewiesen. Es soll aber bereits auf das Jahr 1494 zurückgehen, als Sebastian Brant in seinem „Narrenschiff“ darüber schrieb.