Leben/Gesellschaft

Als das Sparen noch froh machte

Eine Ära geht zu Ende. Mit der Senkung des Leitzinssatzes auf Rekordniveau "stellt sich wirklich die Frage, ob es noch sinnvoll ist, sein Geld auf ein Sparbuch zu legen." Der nobel formulierte Abgesang auf die beliebteste Sparform des "kleinen Mannes" stammt aus berufenem Munde. Matthias Beitl, Direktor des Wiener Volkskundemuseums, hat 2009 eine illustrierte Geschichte des Sparens ("Wer hat, der hat", Metroverlag, vergriffen) vorgelegt.

Sparen für Notzeiten

Der Grundgedanke des Sparbuchs hat seit der Ausgabe des ersten Einlagebuchs Zentraleuropas am 4. Oktober 1819 nichts von seiner Aktualität verloren. Es ging dem Wiener Bürgertum damals in erster Linie darum, Armut und soziale Unsicherheit zu bekämpfen. Am Beginn des Biedermeier wurde soziale Instabilität als eine Ursache für politische Krisen erkannt. Würde dem Einzelnen geholfen, so die Idee, könnten am Ende alle profitieren. Folgerichtig wurde der erste Sparcassenverein ehrenamtlich geführt. Ebenso unvorstellbar: Der Durchschnittszinssatz im frühen 19. Jahrhundert betrug 4 Prozent. Kleinere Einlagen erhielten einen größeren Zinssatz zugeteilt als höhere Einlagen, sagt Beitl. "Das war die Förderung des kleinen Mannes, der kleinen Frau damals."

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Die Inhaberin des Einlagenbuchs Nr. 1, eine gewisse Marie Schwarz (siehe Bild), ließ sich im Revolutionsjahr ihr Guthaben von 30 Gulden (heute etwa 420 Euro) auszahlen.

Das Aufheben von Geld für Notzeiten ist keine Erfindung des frühen 19. Jahrhunderts. Einlagensparen kannten schon die Zünfte im 17. Jahrhundert, sagt Beitl. Die Zunftladen dienten als Absicherung, als Vorsorge für die Mitglieder des Gewerbes. Frühe Sparcassenvereine entstanden im 18. Jahrhundert in England, ehe die Idee auf dem Kontinent in Wien übernommen wurde, mit Kommanditen (Filialen) in Böhmen, Mähren, Galizien.

Dicke Berta

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Die ältere Aufbewahrungsform des Sparstrumpfes lebte als Spardose bis in unsere Tage weiter, immer versehen mit "aktuellen Zeitbezügen, die im Gedächtnis haften bleiben", erläutert Beitl. Seine liebste Erinnerung stammt aus den 1970er-Jahren: Das war "die Dose mit dem Niki Lauda drauf". Während des Ersten Weltkriegs waren hingegen Sparbüchsen in Form einer Granate im Umlauf – man nannte sie "Die dicke Berta".

Vielfach war das "Zielsparen" beliebt. Verständlich, bei Zinssätzen bis zu 7 Prozent. "Auf einem Sparbuch habe ich im Jänner eine Einzahlung und im darauf folgenden Juni eine Auszahlung gesehen, Vermerk Urlaub 1963", sagt Beitl. Was tun? Der Volkskundler sieht die Ära des in finanziellen Fragen beschlagenen Individuums heraufdräuen. Heißt: Der Bankkunde von heute brauche finanzielles Grundwissen, um sich zwischen den alternativen Sparformen zurechtzufinden, "die meisten Menschen bringen nicht einmal eine Zinsrechnung zusammen".

.... die ersten keramischen hohlen Spargefäße schon in griechischen Stadtstaaten bekannt waren? Bei den Römern gab es dann die Aulula, ein kleines birn- oder brustförmiges Keramikgefäß, welches auf der Drehscheibe gefertigt wurde. Beim Brutus! Die Aulula musste brutal zerschlagen werden, um an den Inhalt ranzukommen.

... die Zunfttruhen des Mittelalters als Vorbild für heutige Sparbehelfe zu sehen sind? In der Barockzeit dienten die Spargefäße als Zierde, angelehnt an das chinesische Porzellan; im Biedermeier waren sie mit diversen Sinnsprüchen versehen.

... erste mechanische Sparbüchsen gegen 1870 aus Amerika nach Europa importiert wurden. Die Spielzeugindustrie lieferte wenig später die ersten Spardosen.

... die Erste Bank tatsächlich die Erste Sparkasse in Österreich war? Sie wurde im Jahr 1819 von einem Pfarrer in Wien-Leopoldstadt gegründet und hatte daher nicht zuletzt soziale Hintergründe: Die Wiener und Wienerinnen sollten die Möglichkeit haben, Geld zur Seite zu legen, um in Härte- und Notfällen einen Polster angespart zu haben. Die Eröffnung fand am 4. Oktober 1819 zum Kaisergeburtstag in der Kirche in der Leopoldstadt statt.

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... die Zinsen damals satte vier Prozentbetrugen? Der hohe Zinssatz förderte laut Volkskundemuseum Wien den Spargedanken. Die schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen führten zum Streben nach Sicherheit und Krisenvorsorge.

... der Weltspartag bei einem Sparkassen-Symposium in Mailand, damals das Sparkasse-Zentrum, im Jahr 1924 ins Leben gerufen wurde?