Deutsche in Österreich: "Wir sind die neuen Jugoslawen"
Deutsche Studenten fluten heimische Unis, im Tourismus arbeiten immer mehr Deutsche, sie lieben Österreich – drei Stehsätze, zwei Fehler: Tatsächlich wächst die Zahl deutscher Studenten aktuell kaum, jene der touristischen Mitarbeiter sinkt.
Und doch belegen jüngste Zahlen, dass sich die meisten jener Deutschen, die im EU-Ausland leben, in Österreich niedergelassen haben – 182.000 von 871.000. Damit sind sie die größte Ausländergruppe in Österreich (siehe Grafik) und sie werden mehr: Vor 15 Jahren waren es knapp 80.000, in den vergangenen fünf Jahren stieg die Zahl um 20 Prozent. Zwar flacht die germanische Zuwanderungskurve leicht ab, aber dennoch stellt sich die Frage: Warum Österreich?
Der gebürtige Schwabe Jockel Weichert sollte es wissen: „Es ist die hohe Lebensqualität, gerade in den Großstädten. Da ist Österreich noch ein bisschen Land der unbegrenzten Möglichkeiten.“ Der PR-Mann lebte einige Zeit in München, in Wien hat er dann vor zehn Jahren die „Piefke Connection Austria“ gegründet, die 5000 Mitglieder auf Facebook und Xing gelten als größtes Netzwerk für Deutsche in Österreich. Weichert sieht einen Wandel in der Struktur der Zuwanderer: „Auffällig ist, dass früher vor allem akademisch Gebildete nach Österreich kamen. Jetzt sind immer mehr Deutsche in ganz normalen Jobs tätig; im Supermarkt, in der Gastronomie. Wir sind die neuen Jugoslawen.“
Es liegt der Verdacht nahe, dass vor allem deutsche Saisonarbeiter im Tourismus für den Zuwachs verantwortlich sind. Manfred Katzenschlager, Geschäftsführer der Bundessparte Tourismus in der WKO, widerspricht: „Leider nicht. Wir würden uns mehr Kräfte wünschen, aber die Zahl ist rückläufig.“ So arbeiteten im Jänner ca. 12.000 Deutsche im Tourismus, vor ein paar Jahren waren es 14.000, im Zehnjahresvergleich sank die Zahl um 7,7 Prozent. Und sinkt weiter, weil es in Ostdeutschland mittlerweile auch gute Jobs im Tourismus gibt.
Ebenfalls gerne verdächtigt werden die Studenten – so genannte Numerus clausus-Flüchtlinge, die in der Heimat wegen des Notenschnitts keinen Studienplatz bekommen würden. Zwar studieren tatsächlich an vielen österreichischen Unis viele Deutsche, aber die Zahl wächst nur leicht, liegt bei rund 35.000 und eine jüngst erstellte Prognose zeigt, dass die Quote deutscher Studenten in Österreich weiterhin bei rund neun Prozent liegen wird.
Des Rätsels Lösung
Woher kommen also die Zuwächse? Die Antwort liegt im Gegencheck: Obwohl es nämlich zehnmal so viele Deutsche gibt, leben mehr Österreicher beim Nachbarn als umgekehrt: Von 574.700 im Ausland lebenden Österreichern sind 257.000 in Deutschland. Die Gründe für den regen Austausch sind neben der geringen Sprachbarriere auch der gleiche Kulturkreis, die räumliche Nähe und Momentaufnahmen wie eben Arbeitsmarkt- oder Ausbildungs-Situation. Österreicher und Deutsche treffen einander – im Job, im Urlaub, im Leben – verlieben sich vielleicht und ziehen zusammen. Das passiert öfter als mit anderen Völkern und geht leichter. Netzwerker Weichert bestätigt: „Auch wenn man nicht sofort alles versteht, was geschrieben steht, ist klar.“ Und manche Mentalitätsunterschiede zwischen den Nachbarn würden sich mit der Zeit verlieren: „Die Österreicher mögen die Deutschen schon viel mehr als vor 15 Jahren.“ Als Beispiel bringt der Zuwanderer ... natürlich Fußball.
Mitarbeit: E. Gerstendorfer
Der Blick von außen: Wie Deutsche Österreicher sehen
„Was meinst du mit ‚das geht sich nicht aus‘?“ Als Korrespondentin in Berlin ist man mit Sprachbarrieren öfter konfrontiert als erwartet. Bekommt dafür aber einen anderen Blick auf die Selbstwahrnehmung „der Ösis“: Während wir, durch deutsches Fernsehen geprägt, alles über den Nachbarn zu wissen glauben, weiß der wenig über uns. Nicht aus Desinteresse, aber Deutsche nehmen sich und ihren Nachbarn einfach weniger wichtig als dieser sich selbst. Wer beim Small Talk auf einen heißen Ländervergleich spitzt, wird enttäuscht. Viele Deutsche sind dafür zu freundlich, setzen auf Komplimente und verweisen auf ihre Urlaubserfahrungen – „herzliche Menschen, lustige Sprache und erst das Schnitzel“.
Klischees lösen sich oft erst, wenn man einander auf beruflicher Ebene begegnet. Dann ist der Ösi doch nicht so locker wie der Gaudiwirt in Tirol. Und der Piefke nicht der überpünktliche Besserwisser, sondern auch mal ganz laissez-faire. Besonders in Berlin. (Sandra Lumetsberger)