Der Weg braucht kein Ziel
Von Axel Halbhuber
Vielleicht sucht eine Gesellschaft immer den Ausgleich. Wenn sie vermehrt im Sitzen arbeitet, verbringt sie mehr Freizeit gehend? Wenn der Alltag Menschen zunehmend antreibt, gehen sie zur Erholung bewusst langsamer? Wenn das meiste Tun dem Erreichen eines Zieles dient, sehnt sich das Individuum dann mehr nach dem Weg?
Es wäre eine Erklärung für das Phänomen, warum der Trend zum grundlosen Gehen seit 20 Jahren nicht enden will. Er äußert sich in der neuen Liebe zum Spazieren, in einer überblähten Nordic-Walking-Industrie, in einer steigenden Zahl an Trekking- und Pilger-Angeboten. Die deutlichste Spur hinterlässt er aber im ungebrochenen Wanderboom.
Die mehr als 1000 Teilnehmer der Wander-Weltmeisterschaft, die Ende September in Tauplitz und Bad Mitterndorf stattfindet, kennen diese Grenzen. Die meisten von ihnen betreiben Wandern seit vielen Jahren und als Vollzeit-Hobby. Walter Ziehlinger vom Österreichischen Volkssportverband (ÖVV), der die WM jährlich veranstaltet, erklärt den Geist dieser Wanderer: "Wenn ich für sechs Kilometer den ganzen Tag brauche, weil ich mir zwischendurch auch die Sehenswürdigkeiten und Gasthäuser anschaue, passt das genau so."
Gefühl des Gehens
Für Wandern nimmt man sich also Zeit, die im Alltag fehlt. "Es ist das Fortbewegen mit sich selbst, nur mit den Füßen, bei dem man die Natur und ein Gebiet mit eigenem Gefühl wahrnimmt. Ähnlich dem Zugfahren: Dabei komme ich nicht nur von A nach B, sondern habe auch das Gefühl des Zugfahrens." Wander-Neulinge beschreiben oft die Faszination des Ver-Gangenen, des Weges, der auf die einfachste Art zurückgelegt wird.
Die Frage, warum so viele tatsächlich auf den Berg gehen, beantwortet ein alter Sinnspruch unter Alpinisten: Man geht auf den Berg, weil er da ist. Diese Unaufgeregtheit gefällt vielen, in den Bergen wollen sich Menschen gegenseitig weniger beweisen als im Tal. Deshalb gehe es bei der WM nicht unbedingt um Sieg, sagt Ziehlinger: "Elementare Regel aller Veranstaltungen des Internationalen Volkssportverbandes ist, dass es keine Sieger und Verlierer gibt. Bei der ersten WM 2003 wollte der Veranstalter Saalbach-Hinterglemm aber eine WM austragen. Der Kompromiss für uns ist, dass es bei der WM nicht um Zeit geht, sondern um eine Gruppenwertung über erwanderte Kilometer."
Wander-Gesellschaft
Der Ehrgeiz, Weltmeister zu werden, schlägt sich daher oft darin nieder, eine möglichst große Gruppe zu begeistern. Der vierfache Sieger, die "Wanderkameraden Wien", vereinen viele kleine Wandervereine und melden sich als eine Gruppe an. Geselligkeit ist ein tragendes Element der Veranstaltung, von der Eröffnungszeremonie bis zur Schlussveranstaltung in der Grimminghalle von Bad Mitterndorf, vom Auftritt heimischer Musikgruppen bis zur Hochzeit, die im Rahmen der Wander-WM 2013 stattfand: Zwei Mitglieder der "Wanderkameraden Koala International" aus Deutschland gaben einander damals in Wanderkleidung und unter Anwesenheit des ÖVV-Präsidiums das Jawort. Eigentlich klar, dass die meisten "alles Gute für die gemeinsame Wanderung im Leben" wünschten.
Den Gemeinschaftssinn erkennt auch Tourismus-Chef Kammerer als ein Motiv von Wander-Fans: "Ich empfinde die Wander-WM als sehr gedämpften Wettkampf. Im Zentrum steht die Kommunikation. Natürlich gibt es Ehrgeiz, aber ich habe das immer als Geselligkeitsveranstaltung gesehen. Das ist auch im Sinne der Volksgesundheit, weil es sicher gesünder als ein verbissenes Fighten um Zehntelsekunden ist."
Geeignet für Sportmuffel
Damit spricht Kammerer eine wesentliche Zutat im Erfolgsrezept Wander an: Der anhaltende Fitnesstrend sucht immer neue Kanäle, besonders für beharrlich Fitness-Unwillige. Da man Wandern in selbst gewähltem Tempo und Regelmäßigkeit betreibt, sich dabei kaum überfordert, und dennoch schwitzt, kommt es auch bei Sportmuffeln gut an. Darüber hinaus bestätigen alle Experten, wie gesund es ist: ein gleichmäßiger Mix aus Ausdauer- und Kraft-Training, rund 600 Kalorien Verbrauch pro Stunde, dabei gleichzeitig Aufbau von Muskelmasse. Zudem äußern Mediziner zunehmend den Verdacht, dass Wandern ein lang gesuchtes Mittel zum Senken des bösen Cholesterins (LDL) sein könnte.
Gut, dass gerade Familien Wandern als günstige und abenteuerliche Urlaubsmöglichkeit entdecken. Kammerer: "Die Wanderer sind jünger geworden. Es hat sich herumgesprochen, dass Urlaub erkämpft worden ist, um sich vom Arbeitsalltag zu erholen. Und dafür ist das Wandern unschlagbar."
Infos zur Wander-WM
Heuer veranstaltet sie der ÖVV wie 2009 in Bad Mitterndorf und Tauplitz. Der nicht politische Verband besteht aus 150 Vereinen. Als sich der IVV 1968 in Österreich, Liechtenstein, Deutschland und der Schweiz gründete, war „Volkssport“ das Pendant zu „Leistungssport“. Heute vernetzt er 40 nationale Verbände von Brasilien bis Taiwan, die Wandertage und -wochen organisieren und Wege betreuen.
Wander-WM: 24.–26. 9. in Tauplitz/Bad Mitterndorf (davor IVV-Wanderwoche 19.–23. 9.). Unterkünfte: TV Ausseerland – Salzkammergut (www.ausseerland.at): 03623 / 24 44, eMail: info.badmitterndorf@ausseerland.at