Die Weltgeschichte im Unterrock lässt die Großen und Mächtigen menschlich wirken.
Geschichtsunterricht in den 1960er-Jahren war, wie auch noch lange danach, eine Abfolge von Kriegen, Jahreszahlen und großen Errungenschaften der Menschheit, doch insgesamt eine recht öde Angelegenheit. Es fehlten die biografischen Details, erinnert sich die Historikerin Karin Feuerstein-Praßer, "alles allzu Menschliche war tabu". Aber zum Glück ist nichts mehr so, wie es früher einmal war.
Heute achten Historiker auch auf das, was die Großen und Mächtigen nach Dienstschluss so treiben, lugen gewissermaßen durchs Schlüsselloch und hinter geschlossene Bettvorhänge. Nicht, weil sich dort weltgeschichtlich Entscheidendes zuträgt, sondern, sagt Feuerstein-Praßer, um den Lesern "Appetit zu machen. Denn Geschichte muss nicht trocken sein". Sex & Crime als Einstiegsdroge für eine tiefer gehende Beschäftigung mit der Geschichte eines Landes, quasi.
Begünstigt wird das delikate Unterfangen, wenn genügend Dokumente vorliegen, selbstgeschriebene Briefe etwa, wie jene des Theologen Abaelard an seine blutjunge Geliebte Heloise im mittelalterlichen Paris. Nicht belegen lassen sich hingegen die Wiener Bordell-Runden des preußischen Prinzen Wilhelm (der spätere letzte deutsche Kaiser) mit dem österreichischen Kronprinzen Rudolf. "Das wurde so gut kaschiert, dass nur noch Gerüchte auf uns gekommen sind."
In der Folge werden drei jener ungewöhnlichen Liebesgeschichten aus fünf Jahrhunderten kurz vorgestellt, die Feuerstein-Praßer vom Staub der Geschichte befreit hat:
Nicht erst das 20. Jahrhundert, schon das 16. hatte seine Diana, Königin der Herzen, Verkörperung alles Schönen zu ihrer Zeit. Ihr Name: Diane de Poitiers. Geboren vermutlich 1499. Der französische Dichter Brantôme schwärmte – und übertrieb dabei wohl ein wenig –, sie sei noch mit 60 Jahren ebenso schön von Angesicht, ebenso frisch und liebenswert wie im Alter von 30 Jahren gewesen. Ihr Schicksal: Sie war sowohl Gouvernante als auch Mätresse des um 20 Jahre jüngeren französischen Königs Heinrich II. Als sich die Spuren des Alterns nicht mehr aufhalten ließen, beauftragte sie Bildhauer mit der Erschaffung von Marmorstatuen, die sie als Jagdgöttin Diana mit makellos nacktem Körper zeigten. Sie ließ sie in ihren Räumen aufstellen. Als Lustmacher, sozusagen. Diane überlebte ihren Schützling.
Adele Schopenhauers Hingabe zu Frauen bezeichnen Zeitgenossen verschämt als "antike Liebe", in Anspielung auf die griechische Dichterin Sappho. Zu den Angebeteten der Schwester des Philosophen Arthur zählte Ottilie von Goethe, Schwiegertochter des Dichterfürsten, die die Avancen aber nicht erwiderte. Diese Geschichte hat ein Happy End. Adele fand eine "Seelenverwandte" und schrieb: "Sie hat die Eisrinde meines Herzens gelöst."
Die Habsburgerin Luise von Österreich-Toskana, geboren 1870 in Salzburg, wurde mit König Friedrich August III. von Sachsen vermählt, in dessen frömmelnder Familie sie aber nie Fuß fassen konnte. Sie brannte 1902 mit dem Hauslehrer ihrer Kinder durch, was einen "unerhörten Skandal auslöste". Die Affäre endete bald, doch Luise fand Ersatz in Person des Geigers Enrico Tuselli. Signora Tuselli hatte ein Problem: Sie hat als Adelige nie gelernt, einen Haushalt zu führen. Ihre Geschichte endete traurig, sie starb verarmt.
Mancher mag nun die Nase rümpfen und den Blick in die Privatgemächer als unwissenschaftlich abtun. Einen Vorteil hat er allerdings – Blut ist in den "Bettgeschichten" nur selten geflossen.
Im Bett mit Marilyn Monroe – das war der Traum vieler Männer. Die amerikanischen GIs, die ihr Leben in den Kriegen im Fernen Osten aufs Spiel setzten, trugen neben einem Foto ihrer Frauen und Kinder ein Bild der verführerischen Blondine mit sich herum. Das Bild von Bert Stein vermittelt etwas von diesem verheißungsvoll schimmernden Garten der Lüste, allein der Gedanke daran konnte das harte Leben im Dschungel erträglich machen.
Die Realität hinter der Fassade sah anders aus. "Ich gehöre der Angst", sagte sie im letzten Interview vor ihrem Tod, das im Buch von Johanna Fürstauer ("Im Bett mit...",Residenz Verlag, 21,90 Euro) zitiert wird. Die Wurzeln dieser Angst liegen in ihrer Kindheit: Die von Pflegeeltern streng religiös erzogene Norma Jean lag stundenlang wach und betete zu Gott, er möge sie doch bitte nicht wegen ihrer kleinen Verfehlungen in der Hölle verbrennen lassen. Zu den "Verfehlungen" der jungen Monroe gehörte es unter anderem, ein Bild von Clark Gable aufzubewahren sowie gelegentliche Kinobesuche. Norma Jean wurde zeitweilig in ein Kinderheim abgeschoben, heiratete mit 16 und hatte höchstens eine mangelhafte Schuldbildung – eine der gravierendsten Ursachen für ihr brüchiges Selbstwertgefühl.
Noch als erfolgreiche Darstellerin verfolgten sie Versagensängste: "Ich habe Angst, genommen zu werden, und Angst, nicht genommen zu werden." Und wie in ihrer Kindheit raubten ihr diese Ängste nachts den Schlaf.
Und was war mit dem legendären Giacomo Casanova? Der spätere große Verführer entkam im Alter von 21 Jahren den Bleikammern des Dogen von Venedig. Die spektakuläre Flucht war eine so mitleiderregende Geschichte, dass ihm von da an, zum Trost für erlittene Qualen, die Betten der empfindsamen Damenwelt des 18. Jahrhunderts offenstanden. Als alter, kränkelnder Herr verfasste er auf Schloss Waldstein im nordböhmischen Dux (Duchcov) seine Memoiren. Demzufolge ließ der Mann, dessen Liebe zu den Frauen keine Grenzen kannte, nichts "anbrennen", ein "Dreier" mit zwei venezianischen Nonnen eingeschlossen. Ob er aber alle Frauen, die er liebte, glücklich gemacht hatte, wie er behauptete, ist zu bezweifeln.
Im Zeitalter des Absolutismus gehörte es zum "guten Ton", dass der Herrscher eine Mätresse hatte. Das änderte sich Ende des 18. Jahrhunderts, denn nun wollten die Untertanen, dass ihre Könige ein vorbildliches Ehe- und Familienleben führten. So wäre der englische König Georg IV. beinahe über sein Lotterleben gestolpert – und letztlich auch Bayernkönig Ludwig I. Für Frauen galt zu allen Zeiten: unbedingte Treue. Schließlich musste sichergestellt sein, dass in den Adern der Sprösslinge das "richtige" blaue Blut floss. Ab dem 17. Jahrhundert berichteten Journalisten über das Privatleben von Prominenten. Die "Yellow Press" befriedigt zum einen die Neugierde des Publikums, zum anderen bringt diese Art der Information Skandale ans Tageslicht, vom Spionagefall um den Brandt-Vertrauten Günter Guillaume bis zu den Amouren der US-Präsidenten Kennedy und Clinton.