Leben/Gesellschaft

Herr der Spiele

Spiele haben heute schnell ausgedient. Sie landen nach ein paar Einsätzen im Eck oder werden abgegeben. Helmut Szongott merkt das jede Woche. Er zeigt auf einen Stapel Brettspiele, die in den vergangenen Tagen im Caritas-Laden Nord (Carla) abgegeben wurden. Es sind mehr als zehn Stück pro Tag. Manche sehen aus wie neu, andere haben Kratzer, ausgefranste Deckel oder zu wenig Teile. Der pensionierte Jurist versucht, ihr Leben zu verlängern, und macht sie wieder fit für den Verkauf.

Er trägt ein Spiel auf seinen Arbeitstisch und öffnet vorsichtig den Deckel, als verberge sich darunter ein Schatz. Helmut Szongott ist ein Spiele-Aficionado und Kenner. "Die Regalpreise für Spiele sind gewaltig. Die Menschen spielen immer kürzer damit, da die Hersteller immer schneller neue Spiele auf den Markt bringen." Nach Weihnachten hat er besonders viel zu tun.

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Mit seinen Händen streicht er vorsichtig über die Ecken der Schachtel. Sind sie ausgefranst, klebt er sie an. Kleine Mängel bessert er mit Farbe aus. Dann zählt er Karten, Würfel und Figuren. Je nachdem, wie viel fehlt oder wie beschädigt die Schachtel ist, muss er entscheiden, ob es noch "spielbar" ist. "Es ist schade, wenn ich ein Spiel weggeben muss."

Das kommt dann etwa in einen großen Sack mit anderen mangelhaften Spielen, der für fünf Euro zu kaufen ist. Manche Käufer, sagt er, stört es nicht, wenn Figuren fehlen und sie das Spiel nur zu dritt spielen können. Zwei bis drei Mal in der Woche fährt der Pensionist von Korneuburg in den 21. Wiener Gemeindebezirk.

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Bereits als Kind spielte er gerne Klassiker wie "Mensch ärgere dich nicht" oder "Halma". Später auch mit seinen Kindern und heute mit den Enkeln – am liebsten jüngere Versionen, "die sind herausfordernder, da muss ich mich plagen und nachdenken. Wenn ich bequem bin, spiele ich gerne etwas, das ich gut kann, zum Beispiel Bazaar, da muss man Farbkombinationen würfeln, oder Siedler von Catan." Letzteres gehört zu den erfolgreichsten Spielen weltweit – die Nachfrage ist groß, erklärt Szongott. Gefragt sind auch Spiele für Kindergarten- und Schulkinder. Erkundigen die Kunden sich nach Raritäten, macht er sich auf die Suche.

3000 Spiele

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Zu Hause besitzt er zirka 3000 Karten- und Brettspiele, darunter sogar Exemplare aus dem Jahr 1880. An den älteren Spielen fasziniert ihn vor allem die Optik. Aus seinem Privat-Fundus kopiert er Anleitungen, wenn sie in den Sets fehlen. Oder er sucht in seinem "Ersatzteil-Lager" nach Figuren, um Spiele zu ergänzen. Jenes Exemplar, das der 75-Jährige gerade prüft, ist in gutem Zustand. Es ist ein niederländisches Brettspiel: die Spieler müssen Fahrrad-Teams managen und nach vorne bringen. 1992 war es das "Spiel des Jahres". Szongott sortiert zuerst die Karten, dann wickelt er ein Gummiringerl herum. Die Radfahrer-Figuren setzt er auf die Plastik-Ständer. Danach zieht er eine Klarsichtfolie über das Spiel – "so fällt in der Box nichts durcheinander" – und macht den Deckel zu. Jetzt ist es fertig fürs Verkaufsregal. Er lächelt.

Spiele sind für Helmut Szongott mehr als ein Vergnügen – sie verbinden Menschen: "Wenn sich Leute entfremdet haben, ist es oft schwierig, eine Unterhaltung zu beginnen. Wenn ich aber sage, spielen wir was, dann funktioniert’s." Nachsatz: "Beim Spielen lernt man auch, dass es Regeln gibt, man warten muss oder auch einmal verliert."

Und was macht einen guten Gewinner aus? "Der sagt zum Schluss am besten: 'Ich habe Glück gehabt'."

Info: www.carla-wien.at