Leben/Gesellschaft

Blogger: Die Schattenseiten des Internet-Ruhms

Madeleine Alizadeh ist 27 Jahre alt. Auf ihrem Blog Dariadaria schreibt die Wienerin über alles, was sie berührt. Was das ist, weiß man als treuer Leser genau. Man kennt ihre kleine schwarze Hündin Mala, ihren Freund, ihre Wohnung, die sie gerade mit einem marokkanischen Teppich verschönert hat. Man kennt ihren veganen Alltag, ihr Engagement für die Umwelt. Man kennt sie an guten und schlechten Tagen, geschminkt und ungeschminkt, aufgebracht und amüsiert, still und redselig.

Die Authentizität der Postings machen Alizadeh zu Österreichs bekanntester Lifestyle-Bloggerin. Was damit einhergeht, machte die junge Frau kürzlich zum Thema. Weil ihr Lebensgefährte nicht mehr in den Postings auftauchte, wurde sie von Fans als Lügnerin bezeichnet und auf Social Media mit privaten Fragen bombardiert. Verstört stellte Alizadeh klar, dass sie Privates nicht kommentieren werde.

Leserbindung

Mit ihrem Lebensstil vereinen Blogger Beruf, Alltag und Privates. Das ist ihr Job, davon profitieren sie. Vor allem Lifestyle-Blogger nehmen ihre Fans quasi mit ins Schlafzimmer. Auch, wenn Blogger als Menschen komplexer sind als die Summe ihrer Postings, entsteht eine Bindung zwischen Blogger und Leser. Das birgt auch Gefahren – nämlich dann, wenn sich Blogger von ihren Fans bedrängt fühlen und ihre Privatsphäre bedroht sehen.

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Peter Vitouch, Medienpsychologe an der Universität Wien, kennt dieses Phänomen. In der Fachwelt nennt man es "parasoziale Beziehung". Dabei handelt es sich um Beziehungen, die nicht auf realer Interaktion basieren und einseitig sind. "Man hat nur den Eindruck, dass man den anderen persönlich kennt", erklärt er. Daraus ergeben sich durchaus Vorteile, aus dieser Beziehung lassen sich beispielsweise positive Gefühle und Erfahrungen ziehen. Wird die Situation zu fordernd, kann man sich zurückziehen. Konsequenzen, wie bei einer echten Freundschaft, gibt es dann keine. Parasoziale Beziehungen können auch in Stalking ausarten. "Stalker haben den Eindruck, dass sie jemanden wirklich kennen und diese Person die Pflicht hat, dies zu erwidern und anzuerkennen", beschreibt Vitouch.

Muss ein Blogger Seelenstriptease betreiben, um Erfolg zu haben? "Natürlich ist es wichtig, ein Profil zu entwickeln, dass sich von andern abhebt, zukunftsorientiert ist und Individualität und Neuheit vermittelt", meint Vitouch. "Mit den Erwartungen der Leser, private Details zu teilen, muss man rechnen. Wer sein Leben offenbart und damit Geschäft macht, muss akzeptieren, dass die Leute Bescheid wissen wollen."

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Für Madeleine Alizadeh bedeutet Privatsphäre "eine klare Trennung zwischen Privatleben und meinem Beruf". Der Schutz ihrer Privatsphäre ist ihr heute weitaus wichtiger als zu Beginn ihrer Karriere. Grund dafür sind nicht zuletzt Negativerfahrungen. "Es gibt Dinge, wie zum Beispiel mein Beziehungsleben, die ich nicht mehr preisgebe." Über ihre Periode beispielsweise spricht sie hingegen verstärkt, um "ein Bewusstsein für die stark stigmatisierte Thematik zu schaffen".

Nicht verstellen

Dass Authentizität und Greifbarkeit Schlüsselkomponenten des Bloggens sind, weiß Alizadeh. Als Bloggerin müsse man die eigene Persönlichkeit und zwangsläufig auch Details aus dem Privatleben präsentieren. Das heiße aber nicht, alles preiszugeben. "Authentizität kann dadurch geschaffen werden, indem man sich nicht verstellt, wenn man mit den Lesern kommuniziert."

In ihrer Privatsphäre eingeschränkt fühlt sich Alizadeh, wenn sie nach ihrem Beziehungsleben gefragt oder auf ihre Adresse angesprochen wird. Solche Anfragen werden gelöscht und ignoriert. Dass der Entzug dieser Information bei ihren Fans Irritationen auslöst, versteht sie. "Viele Leser sehen mich als Freundin, auch wenn ich nicht ihre Freundin bin. Der Entzug von Informationen, die mich noch greifbarer machen, ist eine Art Liebesentzug, und das irritiert."

Das Bedürfnis nach Privatsphäre kennt auch Sophie Forster. Auf ihrem Blog sophiehearts.com gibt die Oberösterreicherin Einblicke in ihr Leben. Ihr Freund, der ebenfalls Blogger ist, nimmt dabei eine wichtige Rolle ein. "Ich zeige aber nie das Gesicht meiner kleinen Schwester oder meiner Familie, weil ich sie schützen will."

Die Anteilnahme auf Social Media bewertet sie positiv. "Wenn Leute zu hartnäckig nachfragen, verweise ich auf meine Privatsphäre." Die Neugier kann Forster nachvollziehen, doch sie mahnt zur Nachsicht: "Man muss verstehen, dass ich nicht mit allem nach außen gehen will." Ganz weglassen will sie Privates nicht. "Persönliche Postings haben extrem gute Klickzahlen. Das sind Anknüpfungspunkte, die Identifikation schaffen. Und davon leben wir schließlich."

Wie agiert man im Business möglichst sensibel mit privaten Details? Vitouch rät Bloggern zu Vorsicht: "Dinge, die ich nicht erwähnt haben möchte, darf ich nicht schreiben, denn dann sind sie nicht mehr privat."

Während Prominente gelernt haben, private Fragen mit "Kein Kommentar" abzuwehren, werden sich Blogger künftig eigene Strategien zurechtlegen müssen, die ihre Privatsphäre schützen.

Sie schreiben über vegane Kochrezepte, angesagte Reiseziele, Beauty-Tipps oder Fitness-Trends – und das, ohne von ihren Lesern Geld zu verlangen. Manche österreichische Lifestyle-Blogger, etwa Madeleine Alizadeh (dariadaria.com) oder Nina Radman (berriesandpassion.com), bloggen sogar hauptberuflich – die Frage, wie sie ihr Geld verdienen, hören sie oft.

"Lifestyle-Blogger leben hauptsächlich von Kooperationen", erklärt die Social-Media-Expertin Viktoria Egger. Die Wienerin bloggt selbst (weibi.at) und leitet eine Agentur, die sich auf sogenannte Influencer, also Meinungsmacher aus dem Netz, spezialisiert hat. Zudem hat sie eine Community für österreichische Lifestyle-Blogger ins Leben gerufen (Lifestyleblogger Austria), die etwa hundert Mitglieder zählt.

Kennzeichnung

Geld verdienen mit Kooperationen, was genau bedeutet das? Ein Beispiel: Die Firma xy bringt eine vegane Lippenstift-Serie auf den Markt. Sie sucht sich eine Bloggerin, die sich auf die Themen Kosmetik/Nachhaltigkeit spezialisiert hat, und bittet sie, die Produkte gegen Bezahlung zu testen. Die Beiträge erscheinen in Folge auf dem Blog sowie in diversen Social-Media-Kanälen und werden im Idealfall als "sponsored" gekennzeichnet.

Zahlen werden in der Branche nicht genannt. Fest steht aber: Je höher die Reichweite, desto mehr kann die Bloggerin verlangen. "Es kommt aber nicht nur auf die Anzahl der Leser an", erklärt Egger, "sondern auch auf deren Aktivität. Abonnenten auf Instagram kann man theoretisch zukaufen – was zählt, sind viele echte Likes und Kommentare."

Vor einem Jahr schrieb Alizadeh, dass sie 2016 pro Monat durchschnittlich auf 2300 € brutto kam – sie könnte "viel, viel mehr" verdienen, wähle ihre Kooperationspartner aber mit großer Sorgfalt. Dennoch: Hauptberufliche Blogger sind in Österreich die Ausnahme. Für die meisten ist es ein zeitintensives Hobby mit einem schönen Zuverdienst.