Leben/Gesellschaft

Wie man seine verborgenen Potenziale entdeckt und entfaltet

Sie leben nicht am Meer oder in der Nähe eines Sees, – wer aber sagt, dass Sie nicht ein großartiger Segler wären? Oder Sie spielten als Jugendlicher sehr gut Gitarre, haben diese Leidenschaft aber aufgegeben und stattdessen einen sicheren Berufsweg eingeschlagen. Vielleicht wären Sie heute ein Profi-Gitarrist in einer Band?

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Diese und ähnliche Beispiele stammen aus dem Buch des britischen Bildungsexperten und Autors Ken Robinson. Er ist überzeugt, dass in jedem Fähigkeiten schlummern, die vielen nicht bewusst sind, oder aus Unsicherheit nicht weiter ausgeübt werden. Wie Menschen ihr Potenzial entdecken und nutzen – Robinson nennt es Element –, darüber hat der ehemalige Kunstprofessor schon bei den bekannten TED-Konferenzen(Abkürzung für Technology, Entertainment und Design, Anm.)referiert. In seinem neuen Buch "Begeistert leben" liefert er einen Ratgeber mit praktischen Anleitungen, die helfen sollen, das Leben zu reflektieren. Hier zeigen wir Ihnen eine Auswahl seiner Tipps:

1. Fähigkeiten entdecken: Manche haben ein Gespür für Farbe und Design, andere wiederum nehmen einen Schraubenzieher in die Hand und wissen sofort, was damit zu tun ist. Fähigkeiten, die in einem schlummern, müssen zunächst entdeckt, dann angewendet und verbessert werden. Nur so können daraus Fertigkeiten entstehen. Wer schnell Mathematik begreift, ist nicht automatisch ein Ingenieur. Ken Robinson sieht im Entdecken der Fähigkeiten eine Reise nach innen und nach außen: Dazu gehören meditative Übungen sowie der Blick in das persönliche Umfeld. Um Hobbys und Interessen zu strukturieren, ist es sinnvoll eine Mindmap oder Collage aufzuzeichnen. Sie sollen helfen, Fragen zu beantworten, wie etwa: Was macht Ihnen Spaß? Wie viel Zeit verwenden Sie für Sport, wie viel Zeit benötigen Sie für das Schreiben von eMails?

2. Langfristig Ziele stecken: Wenn der Griff zum Telefon enorme Überwindung kostet, jeder Schriftverkehr zur Hürde wird, dann läuft etwas falsch. Schwerfälligkeit im Beruf ist für Robinson ein Anzeichen dafür, dass jemand nicht in seinem Element ist. Wer sein Leben ändern will, sollte zunächst klein anfangen. Es hat wenig Sinn, seine Zukunft sofort umzuplanen. Kleine Ziele helfen, vorwärts zu kommen. Dazu zählen auch Offenheit und die Bereitschaft, neue Dinge auszuprobieren.

3. Bestandsaufnahme machen: Herausfinden, wo man steht, ist laut Robinson wichtig, um neue Perspektiven zu bekommen. Das bedingt auch, sich damit auseinanderzusetzen, welche Umstände einen hindern, andere Wege einzuschlagen. Das reicht von Beruf, Wohn- und Geldsituation bis hin zu Familie. Wem ist man verpflichtet, kann man es sich leisten, ein Risiko einzugehen? Robinson erzählt von einer Familie, die ihren Wohnsitz San Francisco gegen eine Kleinstadt in den Bergen von Utah tauschte, weil sie nicht mehr glücklich war. Sie ließen alles hinter sich , zogen erstmals durch die Welt, um schließlich einen Ort zu finden, der ihnen Lebensqualität und neue Berufsmöglichkeiten bietet.

4. Emotional vorbereiten: Auf Veränderungen muss man sich gefühlsmäßig einstellen, mögliche Konsequenzen bedenken. Robinson betont, dass Menschen, die ihr Element gefunden haben, damit nicht unbedingt ihren Lebensunterhalt verdienen können. Sie führen es als Freizeitbeschäftigung fort, auch das kann glücklicher machen.

5. Gleichgesinnte treffen: Wer sein Element gefunden hat, muss den damit verbunden Lebensstil mögen. Indem man sich verschiedene Gruppen in dem jeweiligen Interessens-Bereich ansieht – auch Online-Netzwerke – und Menschen trifft, kann man abwägen, ob es für einen passt oder nicht.

Zur Person:

Sir Ken Robinson, geboren 1950 in Liverpool/England, gilt als renommierter Bildungsexperte und Erziehungswissenschaftler. Queen Elizabeth schlug ihn 2003 zum Ritter. Von 1989 bis 2001 unterrichtete er als Kunstprofessor an der University of Warwick. Heute berät er NGOs und hält Vorträge. Seine Reden bei der TED-Konferenz wurden im Internet bisher 25 Millionen Mal aufgerufen.

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Buchtipp:„Begeistert leben“ von Ken Robinson, Ecowin, 19,95 €

KURIER: Herr Robinson, noch nie gab es so viele Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten. Warum fällt es dem Menschen trotzdem schwer, sein Element zu finden?

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Ken Robinson: Was ich mit Element meine ist, wenn unsere Begabungen auf Leidenschaft treffen. Aber manchmal finden wir unser Element nicht, weil es unsere Umstände nicht erfordern. Wie kannst du wissen, ob du gut Violine spielen kannst, wenn dir nie jemand eine Violine gegeben hat? Wie kann man wissen, ob man ein guter Chemiker wäre, wenn man noch nie ein chemisches Experiment durchgeführt hat? So kommt es, dass wir manchmal mit unseren Talenten leben, aber sie nie entdeckt werden. Auch weil unser Erziehungs- und Bildungssystem nicht darauf ausgerichtet ist, unsere Talente und Leidenschaften zu finden. Es ist so ähnlich, wie wenn man ein Trainingsprogramm für Athleten entwirft, aber man nur Hochsprung ins Programm aufnimmt, aber nicht Laufen, Schwimmen ...

Wollen Sie damit sagen, dass die Schule unsere Talente und unsere Kreativität zerstört?

Sehr häufig trifft das zu. Aber natürlich passiert das nicht an allen Schulen. Ich hatte auch Kontakt mit fantastischen Lehrern, die es lieben zu unterrichten und eine hohe Sensibilität besitzen, wie man Kinder unterrichten muss. Aber in den meisten Schulen werden vor allem akademische Talente gefördert mit dem hohen Ziel, eine universitäre Ausbildung zu durchlaufen. Das ist die Botschaft, die die Kinder schon in der Schule bekommen. Ich bin nicht für dieses System und plädiere dafür, dass die Kreativität an unseren Schulen mehr kultiviert werden muss.

Warum ist es wichtig, sein Element zu finden? Und was sind die Folgen, wenn man sein Element nicht entdeckt?

Ich habe viele Menschen getroffen, die glauben, dass sie keine Talente haben. Sie mögen auch nicht ihren Job, den sie jeden Tag erledigen und sehnen sich jede Woche nur nach dem Wochenende. Und dann gibt es Menschen, die lieben, was sie tun, üben jeden Tag mit Freude ihren Job aus. Egal, ob sie Schriftsteller, Hausfrau, Physiker oder Verkäuferin sind. Mit meinem Buch möchte ich den Menschen helfen, ihre Erfüllung zu finden. Es ist wichtig, etwas im Leben zu finden, wo man sich gut fühlt. Warum ist das so essenziell? Sein Element zu finden, ist wichtig, um zu verstehen, wer man ist, was man leisten kann und was man mit seinem Leben anfangen kann. Das Ergebnis, wenn Menschen nicht ihr Element finden, können wir an den steigenden Zahlen jener Studenten oder Schüler sehen, die ihre Ausbildung abbrechen. Es ist auch der Grund, warum immer mehr Menschen depressiv werden und zu Medikamenten greifen.

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