Leben/Gesellschaft

An der Donaukanal-Nordwand

Es gibt nichts Besseres, als nach einem langen, harten Arbeitstag bouldern zu gehen“, findet Philipp Stromer. „Danach fühlst du dich, als wärst du nie arbeiten gewesen.“ Der 31-jährige Architekt hat Wien als Kletterparadies entdeckt – und ist damit nicht alleine. Immer mehr Sportbegeisterte nutzen die Strukturen der Großstadt für ihre eigenen Zwecke.

Das Urban Bouldern ist eine relativ junge Variante des Klettersports. Dabei wird ungesichert auf Absprunghöhe geklettert. Bouldern kommt vom englischen Wort für Felsbrocken. Auf diesen wurden ursprünglich schwierige Bewegungen trainiert.

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Mittlerweile hat es sich zu einer eigenen Sport-Disziplin entwickelt. „Am liebsten sind mir Steinwände wie die Wand beim Flex , aber auch Stahlkonstruktionen beim Handelskai“, sagt Stromer. Statuen werden ebenfalls gern bezwungen.

Die beliebtesten Plätze in der Hauptstadt hat der Sportler auf der Homepage Urban Boulder aufgelistet. Die Plattform gründete er 2009, um die Kletterer in Wien besser zu vernetzen. An die 40 Sportbegeisterte kommen regelmäßig zusammen. Tendenz steigend.

Interesse steigt

Einer der Gründe dafür: „Zum Bouldern braucht es nicht viel“, erklärt Stromer. Kletterschuhe, eine Matte (Cashpad) zum Auffangen, eine Steinwand und es kann losgehen.

Höhenangst lässt Stromer als Ausrede nicht gelten. „Die ersten Male war mir auch etwas mulmig, aber das gibt sich“, erzählt der Kletterer. „Irgendwann fühlt man sich wieder wie das kleine Kind, das mit Begeisterung den höchsten Baum im Garten erklommen hat.“

Und wer einmal Blut leckt, kommt nicht mehr davon los. Das bestätigt auch Kletterkollege Paul Zeiner. Der 27-jährige Physiotherapeut klettert seit zwölf Jahren, manchmal sogar vier Mal die Woche.

Was die Faszination daran ist? Das Abschalten, das Eintauchen in eine eigene Welt. „Beim Bouldern musst du ganz da sein. Du konzentrierst dich nur auf deinen Körper“, erzählt Stromer. „Das tut gut.“

Eine gute Selbsteinschätzung ist allerdings Voraussetzung. Vor allem, wenn es höher als üblich hinausgeht. Unlängst ist Stromer an der Überdachung des Urban-Loritz-Platzes entlang geklettert. An der höchsten Stelle hing er 15 Meter über dem Boden. „Wenn du zwischendurch nicht mehr kannst, dann hast du ein Problem.“

Normalerweise begibt sich der Architekt aber nicht in solch luftige Höhen. Das Dach erklomm Stromer im Zuge der Dreharbeiten zu dem Film „Vienna Walls“, der gestern, Samstag, Premiere feierte. Dieser 24-minütige Kurzfilm soll das Urban Bouldern in Wien noch bekannter machen.

Denn Klettern macht alleine keinen Spaß. „Bouldern ist Teamsache“, sagt der 31-Jährige. Gemeinsam ein Wand bezwingen, Routen durchdiskutieren, sich gegenseitig Tipps geben – darin liege der Reiz.

Schaulustige

Bouldern verbindet Menschen. Doch nicht nur die Beteiligten. Kaum ein Passant kann sich eine Bemerkung verkneifen, erzählt Stromer. „Die Leute applaudieren oder feuern uns an.“

In jedem Fall sorgen die Spidermen der Großstadt für Aufsehen. Bis jetzt sei das Echo nur positiv, versichert Stromer. Gleichzeitig weiß der Kletterer, dass sich die Urban Boulderer in einer rechtlichen Grauzone bewegen. Deshalb gibt es gewisse ungeschriebene Gesetze. Rathaus oder Stephansdom sind Tabuzonen, ebenso Privathäuser. Denn eines will Stromer klarstellen: „Wir wollen nichts beschädigen.“

Hotspots in Wien

Im Freien: Der begehrteste Kletterplatz ist und bleibt die Flexwand am Donaukanal. Auch am Handelskai oder bei der U3-Station Ottakring trifft man oft Boulderer an. Beim Wienfluss-Radweg zwischen Braunschweiggasse und Hietzing lädt eine Steinwand zum Austoben ein.

In der Halle: Im Winter muss man in eine Kletterhalle ausweichen. Gut besucht sind die Boulderbar im 20. Bezirk, das Edelweiß Center in der Walfischgasse oder die Halle in der Lerchenfelder Straße 28.