Abenteuer Zuhören: Warum Vorlesen Kindern hilft
Von Uwe Mauch
Der Moment, in dem der Funke überspringt und man abtaucht in eine andere Welt. Die Wiener Buchhändlerin Jelena Deretić liebt diesen Moment. Als Vorleserin ebenso wie als Zuhörerin. Sie veranstaltet daher in ihrer kleinen, feinen Buchhandlung beim Kalvarienberg in Wien-Hernals öfters Lesungen. Für Kinder und Erwachsene, die nächsten übrigens zum Österreichischen Vorlesetag.
Dieser wurde von Werner Brunner im Vorjahr zum ersten Mal organisiert. „Nach Vorbild der deutschen Stiftung Lesen“, wie das Urgestein des hiesigen Buchhandels uneitel betont.
Brunner und seine Mitstreiter verfolgen mit dem Vorlesetag ein klares Ziel: „Wir wollen den Menschen das Abenteuer Zuhören näher bringen.“ Am kommenden Donnerstag stehen daher mehr als 1600 Lese-Events in vielen Gemeinden Österreichs auf dem Programm (Details siehe unten).
Von anderen lernen
Woher so ein Tag seine Berechtigung nimmt? Der Organisator beruft sich auf eine Studie der Stiftung Lesen. Demnach wird heute jedem dritten Kind zu Hause nicht vorgelesen. Durchaus fatal, denn gleichzeitig ergab die Studie: 78 Prozent der Kinder, die früh Erfahrung mit dieser Kulturtechnik machen, haben keine Probleme, Lesen zu lernen. „Außerdem tun sie sich in der Schule und beim Erwerb von sozialen Kompetenzen leichter“, zitiert Werner Brunner aus anderen Expertisen.
Die Pädagogin Susanna Haas kann erklären, wie und warum das Vorlesen wirkt: „Kinder haben den Drang, von anderen Menschen zu lernen. Insofern ist die Vorbildwirkung der Erwachsenen besonders wichtig. Wenn dann auch noch mit Freude vorgelesen wird und wenn die Stimmung angenehm ist, wird das den Kindern für immer in Erinnerung bleiben.“
Susanna Haas weiß, wovon sie spricht. Sie ist die pädagogische Leiterin für die Wiener Kindergärten der St. Nikolausstiftung und seit kurzem Mitglied im KURIER-Bildungsbeirat. Wichtig ist ihr der Hinweis, dass man die jungen Zuhörer nicht überfordern darf: „Wir sollten den Kindern erlauben, auch einmal Nein zu sagen oder sich ein anderes Buch zu wünschen.“ Die Fachfrau plädiert daher für ausreichend Achtsamkeit: „Wer auf die Bedürfnisse der Kinder eingeht, wird auch mehr Gehör finden.“
Jelena Deretić erlebt in ihrer Buchhandlung manchmal Kunden, die ihren Kindern entgegen der Empfehlung des Verlags und ihres fachlichen Rats Bücher kaufen, die sie überfordern. „Weil ein Buch für Fünfjährige nun einmal nicht für Zweijährige geeignet ist.“ Als Buchhändlerin kann sie – anders als Online-Anbieter – explizit darauf aufmerksam machen. Doch nicht immer wird ihr geglaubt. Was nachhaltige Folgen haben kann: „Wenn man ein Kind mit einem Buch vor den Kopf stößt, kann es passieren, dass es die Lust an den Büchern verliert.“
Kästner lässt grüßen
Werner Brunner, der übrigens einer der Entdecker und erster Verleger des österreichischen Erfolgsautors Thomas Brezina war, freut sich indes schon auf den bevorstehenden Vorlese-Donnerstag. Gerne erinnert er sich an seine eigene Kindheit, an viele gemeinsame Stunden mit Erich Kästner.
Emil und die Detektive, Das fliegende Klassenzimmer, Das doppelte Lottchen – er hat Kästners Kinderbücher alle gelesen, nein, er hat sie verschlungen: „Das war für mich Abenteuer pur. Das war Freude, Spaß, Unterhaltung.“ Und das war nicht zuletzt der interessierte Zugang zu Büchern, den er sich bis heute bewahrt hat.
Auch KURIER-Redakteure werden vorlesen
Österreichischer Vorlesetag: Zum zweiten Mal findet am kommenden Donnerstag der Österreichische Vorlesetag statt. An Orten in ganz Österreich wird gut 1600 Mal vorgelesen. Alle Events hier: https://vorlesetag.eu/
Ein Abend für KURIER-Leser: Die beiden KURIER-Redakteure Axel N. Halbhuber und Uwe Mauch werden am Mittwoch ab 19 Uhr zum Auftakt des Österreichischen Vorlesetags in der Buchhandlung Bookpoint (1170 Wien, Kalvarienberggasse 30) aus ihren Büchern vorlesen. Halbhuber über Begegnungen auf seinen Wanderungen, auf seiner Weltreise und mit seinem kleinen Sohn, Mauch über berührende Begegnungen in Wien. Der Eintritt ist frei, um eine Anmeldung wird gebeten: office@bookpoint.at oder 01 / 407 31 69.