Wie Forscher Leonardos Genialität in seinem Erbgut enträtseln
Nein, Jesse Ausubel lässt sich derzeit noch nichts entlocken. „Im April vielleicht“, vertröstet er auf Anfrage. Was der Wissenschaftler von der Rockefeller University in New York City so streng geheim hält? Das Erbgut von Leonardo da Vinci! Oder besser gesagt, ob es seinem internationalen, interdisziplinären Forscherteam tatsächlich gelungen ist, genetisches Material des Genius aufzutreiben und zu analysieren.
The Leonard da Vinci Project 1519 - 2019 nennt sich das Unterfangen, hinter dem niemand Geringerer als der Gen-Forschungspionier Craig Venter steht, der in seinem Institut in Kalifornien ein Verfahren entwickelt, mit dem man genetisches Material aus uralten Bildern, Notizbüchern und Manuskripten extrahieren und sequenzieren kann. Es ist ein Projekt, wie es das Renaissance-Universalgenies geliebt hätte: Innovativ und fächerübergreifend wie er selbst, der Maler, Mediziner, Ingenieur in einer Person war. Beteiligt sind Ethnologen, Kunsthistoriker, Genealogen, Genetiker, Neurologen und Mikrobiologen aus Frankreich, Italien, Spanien, Kanada und den USA.
Hightech-Schnitzeljagd
Wer sich nun fragt, warum die Forscher nicht einfach die Knochen aus Leonardos Grab in der Kapelle des Château d’Amboise untersuchen: Keiner weiß, ob er es ist, der dort liegt. Denn 1802 wurde die Kapelle abgerissen, einige der Gräber zerstört und die Knochen verstreut. Gut, es gibt eine Platte mit der Aufschrift „Leo dus Vinc“, 1863 wurde bei Grabungen auch ein Steinsarg gefunden, der ein Skelett mit einem großen Schädel enthielt – groß genug, um ein außergewöhnliches Gehirn zu enthalten. Sicher ist aber nichts.
„Wir wollen rausfinden, ob die Knochen im französischen Sarg tatsächlich die von Leonardo sind. Doch dafür braucht man irgendwas zum Vergleichen“, sagte Ausubel dem KURIER bereits 2016.
Dafür verfolgt der Leiter, der das Projekt 2014 initiierte, einen Plan: DNA aus Gemälden oder den Tausenden Notizbüchern gewinnen. In Letzteren notierte Leonardo profane Einkaufslisten gleich neben genialen anatomischen Studien. Und: Er präparierte das Papier mit Spucke, wie die Forscher mittlerweile wissen. Das war damals durchaus üblich, weil der Silberstift (der Vorläufer des Bleistifts) nur so funktionierte, erklärt die Künstlerin Karina Åberg, die seit 2015 am Leonardo-DNA-Projekt beteiligt ist.
Künstler-Erbgut auf Bildern
„Wir wissen mittlerweile, dass brauchbare DNA aus Kunstwerken, Büchern und Manuskripten extrahiert werden kann“, sagt sie und appelliert, bei Konservierung und Restaurierung viel vorsichtiger zu sein: „Chemikalien und Röntgenstrahlen können DNA zerstören, noch ehe wir Gelegenheit hatten, sie zu untersuchen.“ Thomas Sakmar, Neurobiologe an der Rockefeller University, ergänzt: „Stellen Sie sich einen Mikropunkt eines mit Speichel präparierten Papiers vor, der einen Durchmesser von 1,2 mm hat. Heute wissen wir, dass er im Schnitt sieben menschliche Epithelzellen enthält – genug, um eine DNA-Analyse durchzuführen.“
Gates und die Queen
Dass sich nur Leonardos DNA auf den Notizen befindet, ist auszuschließen: „Er hatte zwei Assistenten, die ihn über Jahrzehnte unterstützten und die Notizbücher berührten“, sagt Ausubel. Heute hüten Sammler aus aller Welt seine „Codices“. Zu den späteren Eigentümern gehören die Königin von England, der Papst oder Bill Gates. Sie alle haben DNA hinterlassen. Das mit den Notizbüchern ist also auch nicht so einfach.
Projektleiter Ausubel weiß: „Kein einzelner Weg wird zum Ziel führen, daher wollen wir viele ausprobieren.“ Zum Beispiel genetisches Material aus uralten Bildern extrahieren und sequenzieren, schließlich hat der Meister beim Malen seine Finger benutzt und könnte Zellen seiner Epidermis gemischt mit den Farben hinterlassen haben.
“Übrigens: Mittlerweile ist durchgesickert, dass die Forscher tatsächlich ein blondes oder weißes menschliches Haar auf einem der Bilder entdeckt haben. Um es einzuordnen, brauchen die Genetiker aber Leos Verwandtschaft. Tatsächlich glauben die Leonardo-Teammitglieder Agnese Sabato und Alessandro Vezzosi lebende Nachfahren des Vaters des Renaissance-Genies gefunden zu haben, darunter den italienischen Regisseur Franco Zeffirelli. „So haben wir einen Stammbaum von Leonardo da Vinci der in die Gegenwart weist“, erzählt Ausubel. Sabato und Vezzosi haben die Nachfahren dann 2016 in der Toskana zusammengetrommelt hat, um ihnen ihr Erbgut als Vergleichsmaterial abzuknöpfen.
Zur Person: Leonardo
Leonardo da Vinci wurde am 15. April 1452 in der Toskana im Dorf Vinci („da Vinci“ ist also nicht sein Familien-, sondern ein Herkunftsname und bedeutet „aus Vinci“) als unehelicher Sohn des Florentiner Notars Ser Piero und des Dienstmädchens Caterina geboren. Damit war es mit der akademischen Laufbahn, sozusagen von Geburt wegen, vorbei. Leonardo wurde ein bescheidener Handwerker, ein Maler eben. Er sezierte heimlich Leichen, als die Strafe dafür noch der päpstliche Bann war. Er erfand Flugzeug, Fahrrad sowie Hubschrauber, und malte das wohl bekannteste Bild der Welt: die Mona Lisa.
Leonardo hat allein 6000 Manuskript-Seiten mit Zeichnungen und Erklärungen aus den verschiedensten Fachgebieten hinterlassen: Medizin, Physik, Mechanik, Architektur. 1481 rühmte er sich in einem Bewerbungsschreiben auch in erster Linie als Ingenieur. Erst zuletzt merkte er bescheiden an, „in Friedenszeiten auch auf dem Gebiet der Malerei, Plastik und Baukunst das Beste zu leisten“. Lange Jahre stand er im Dienste der Medici. 1515 wurde ihm von Franz I. von Frankreich der Job des „Ersten Malers und Ingenieurs des Königs“ angeboten. Vier Jahre später, am 2. Mai 1519, starb er in Amboise.
25 Generationen
Ob das mit den Nachkommen so funktioniert, wie es sich die Forscher auf dem Papier ausgedacht haben, ist aber fraglich: Seit Leonardo sind an die 25 Generationen vorbeigezogen. „Oft ist der Vater nicht der Vater. Wir sind also nicht sicher, ob die Nachkommen tatsächlich mit Leonardo verwandt sind“, gesteht Ausubel. „Wenn wir aber auf Notizbüchern und Gemälden mit Nachkommen übereinstimmende DNA finden, dann sind wir zuversichtlich, dass wir etwas in der Hand haben“, sagt der Projekt-Leiter.
Neurobiologe Sakmar ist überzeugt, dass er irgendetwas Einmaliges in Leonardos Erbgut finden kann. „Ich bin fasziniert von der Idee, die Ursprünge von Leonardos Genie und Kreativität mit modernen molekulargenetischen Technologien in Fragmenten seiner DNA zu finden.“ Denn so viel ist sicher: „Leonardo hatte besondere visuelle Fähigkeiten, die er auch nutzte, was normale Menschen nicht tun“, sagt Sakmar, der das Projekt als Chance für Museen sieht, viele Künstler besser zu erforschen. Projekt-Leiter Ausubel abschließend: „Wir hoffen, Methoden zu finden, wie man Künstlern durch ihre Werke auf die Spur kommen kann“. Zum 500. Todestag Leonardos im Mai 2019 sollten wir wissen, ob das gelungen ist.