Schön auch ohne Oper
34 Jahre verkörperte Waltraud Meier die Kundry in „Parsifal“. Zuletzt hat sie sich von großen Rollen wie der Isolde verabschiedet. Ein Gespräch über Loslassen, Personenkult und die Hysterien des Opernbetriebs.
KURIER: Fiel der Abschied von diesen Rollen schwer?
Waltraud Meier: Nicht, wenn man sich darauf vorbereitet. Das gehört zum Leben. Mir hat es sehr geholfen, dass alles so gut gegangen ist. So behält man zumindest die gute Erinnerung daran. Ich habe als Zwanzigjährige zu singen begonnen. Seit vierzig Jahren singe ich das große, schwere Fach. Es war mir aber schon länger klar, dass mein Rückzug von den schweren Partien kommen würde, wenn ich um die sechzig bin. Und ich wollte zum richtigen Zeitpunkt aufhören, damit ich sagen kann, ich habe das alles bis zum Ende mit Anstand gesungen. Ich will nicht, wie andere Kollegen, auf der Bühne stehen bis ich umfalle. Ich bin froh, dass der Druck nachlässt und ich einfach weniger mache. Es ist auch schön ohne Oper.
Die Ortrud in Wagners „Lohengrin“ singen Sie aber weiter. Diese Rolle fordert von einer Sängerin doch auch nicht wenig.
Mit der ist nach Bayreuth in diesem Sommer Schluss. Damit schließt sich ein Kreis. Und das ist mir sehr wichtig.
Die Klytemnestra in Strauss’ „Elektra“ singen Sie auch weiter. Wie gefällt Ihnen Laufenbergs Inszenierung an der Wiener Staatsoper?
Die habe ich mir zurechtgerückt. Ich nehme die Verantwortung für meine Arbeit auf der Bühne sehr ernst. Ich kann nur das spielen, wovon ich überzeugt bin. Wenn nicht, muss man mit sehr guten Argumenten kommen. Gelingt das nicht, ändere ich etwas für mich.
Gab es eine „Parsifal“-Inszenierung, die sie so überzeugt hat, dass Sie auf der Bühne als Kundry so etwas wie Erlösung verspürt haben?
Nein, im Grunde wurden alle Wagner-Inszenierungen in den letzten Jahren für mich immer unbefriedigender, mit Ausnahme des „Tristan“ von Patrice Chéreau an der Mailänder Scala. Das war das Non-plus-ultra.
Chéreau ist vor fünf Jahren gestorben. Fällt der Rückzug von der Opernbühne leichter, wenn Partner wie er nicht mehr sind?
Ja, früher konnte ich mit ihm über alle meine Rollen reden, das fehlt mir. Und sein Tod ist wirklich ein großer Verlust für mich, auch freundschaftlich.
Lehrt die Musik den Umgang mit Vergänglichkeit?
Nein, den lehrt einen das Leben. Man muss sich bewusstmachen, dass Kommen und Gehen, Werden und Vergehen Teil des Lebens ist. Ich habe mehr und mehr festgestellt, wenn man sich dem Fluss der Zeit hingibt, lebt man umso wahrhaftiger. Und es fühlt sich besser an, wenn man nicht dauernd gegen etwas ankämpft.
Sind Sie froh, dass Sie vor vierzig Jahren als Sängerin begonnen haben und nicht heute?
Ich wäre heute nicht gern eine junge Sängerin. Der Betrieb ist oberflächlicher und hysterischer geworden. Eine Pflege von Talenten gibt es nicht mehr, fast nur noch Ausbeutung. Auch finanziell. Es wird an der Kunst und damit auch bei den Sängern immer mehr gespart. Und man ist als Sänger austauschbar geworden.
Stimmt es, dass früher Programme vor allem in Repertoire-Häusern nach den Sängern geplant wurden, während man sich heute nach den Kalendern der Regisseure richtet?
Das ist etwas extrem formuliert. Aber in der Tat gibt es heute ein Regisseur-Theater. Man spricht immer von Regietheater, aber das gibt es im Moment gar nicht. Das hatten wir noch zu Zeiten von Regisseuren wie Jean-Pierre Ponnelle, Götz Friedrich, Klaus-Michael Grüber und Harry Kupfer. Heute engagiert man häufig opernfremde Quereinsteiger und hofft auf neue Ideen. Aber wie oft sind wir davon enttäuscht worden. Heute ist man froh, wenn es endlich eine Inszenierung gibt, über die man sich einmal freuen kann. Aber an diesem Zustand sind auch die Journalisten schuld. Das Feuilleton forderte immer etwas Neues, es hat die irrwitzigsten Inszenierungen hochgejubelt aber nie nachgefragt, ob sie wirklich das Stück erzählen. Damit hat es viel kaputt gemacht.
Gibt es heute nicht weniger gute Dirigenten als vor vierzig Jahren?
Wir haben doch ganz gute. Wien kann sich glücklich schätzen, dass Philippe Jordan kommt. Ich hätte ihn gern in München gehabt. Christian Thielemann und Lorenzo Viotti sind wunderbare Talente. In Wien war ich oft entsetzt darüber, dass es bei sehr vielen Repertoire-Vorstellungen keine Proben gab. Eine „Elektra“ ohne Orchesterprobe kann man keinem Dirigenten zumuten.
Kommt das an anderen Häusern nicht vor?
Nein, es ist Wien-spezifisch. Das schafft ein Niveau, das der Wiener Staatsoper nicht würdig ist. So manche erste Vorstellung in einer Serie klingt dann auch wie eine Probe. Nach solchen Vorstellungen bin ich immer schwer frustriert. Aber es gibt auch Abende, die zum Niederknien sind. Das Gefälle ist sehr hoch.
Besuchen sie heute noch Opernvorstellungen?
Ganz selten, sehr häufig gehe ich ins Konzert, ins Theater und natürlich ins Kino. Ich liebe die Schauspielerei.
Interessiert es sie gar nicht, wer heute die Kundrys und Isoldes sind?
Nein, es hat auch mich nicht interessiert, wem ich nachfolge. Diesen ganzen Personenkult mag ich nicht, bei mir nicht und auch nicht bei anderen Sängern. Ich bin gut durch die 42 Jahre gekommen, weil ich wenig nach links und rechts geschaut habe.
Wie ist das Gefühl, wenn man alles erreicht hat, was man will?
Das macht einen reich, das macht einen voll, das macht einen ganz. Alles andere wäre doch neurotisch. Und ich glaube, ich bin ein recht gesunder Mensch.
Empfinden Sie keine Leere?
Nein, denn ich habe mich nie darüber definiert, Sängerin zu sein, ich war immer Mensch und bin immer Mensch. Und ich habe mit den tollsten Sängern, den tollsten Regisseuren, und den tollsten Dirigenten gearbeitet. Es ist alles gut.
Waltraud Meier
Die Mezzosopranistin wurde in Würzburg geboren, studierte zuerst Anglistik und Romanistik, danach Gesang. 1983 begann ihre Weltkarriere als Kundry in Wagners „Parsifal“ bei den Bayreuther Festspielen. Meier sang alle großen Partien ihres Fachs, vor allem aber Wagner.