Zeitgenössische Kunst: Die Woche der gepflegten Überforderung
Von Michael Huber
"Kunst und Kapital" sei das Überthema der heurigen Parallel Vienna, sagt Organisator Stefan Bidner. Die Kunstmesse, die von Dienstag bis Sonntag ihre bislang größte Ausgabe erlebt, gibt sich seit ihrem Start in einem Parkhaus am Prater zwar betont alternativ - doch "ohne Kapital gibt's auch keine Kunst", so Bidner. Die "Kapitalisten" von der Bank Austria hätten der Messe immerhin das ausrangierte Bürohaus an der Lasallestraße 1 überlassen, und überhaupt wäre es wünschenswert, wenn ein bisschen mehr Kapital in die Kunst wandern würde, schließlich müssen Künstlerinnen und Künstler ja auch von etwas leben.
Wo manche Kreative noch den Purismus beschwören oder gegen die korrumpierende Kraft des Geldes wettern, verfolgt die "Parallel Vienna" einen durchaus pragmatischen Zugang zu den vielfältigen Verstrickungen von Geld und Kunstszene - und ist damit auf ihre Art durchaus glaubwürdig. Die Aufgabe, ausrangierte Immobilien künstlerisch mit neuem Leben zu erfüllen, bevor diese gewinnbringend umgenutzt werden, ist keine böse Gentrifizierung, sondern gehört zum Konzept der Messe, und nachdem der Austragungsort des Vorjahres - die ehemalige Sigmund-Freud-Universität in Erdberg - gleich nach der Veranstaltung planiert wurde, sind es heuer eben 13.000 Quadratmeter im alten Bank-Bürogebäude geworden. Die drei Stockwerke überfordern mit ihren labyrinthischen Raumfluchten maßlos, und gerade das macht den Spaß aus: So räudig und ruppig und zugleich so dicht ist zeitgenössische Kunst sonst in Wien und anderswo selten zu erleben.
Neu ist heuer das Format "Parallel Masters", in dem Werke renommierter Künstlerinnen und Künstler - darunter Franz Graf und Hubert Scheibl, Hermann Nitsch, Franz West und Bruno Gironcoli - im ehemaligen Archivraum des Bürohauses untergebracht sind. Von hier aus geht es in zwei Obergeschoße, in denen einerseits kommerzielle Galerien, andererseits Projekträume und einzelne Künstlerinnen und Künstler ihre Werke präsentieren und auch zum Verkauf anbieten.
Die Spezialität der "Parallel" ist, dass die Teilnehmer dazu angeregt werden, nicht einfach Bilder an die Wand zu hängen, sondern ihre Räume als ganzes kreativ zu nutzen. Das zeitigt mitunter höchst spannende Erlebnisse, die jeweils nur für kurze Zeit bestehen bleiben: Peter Sandbichler hat im Erdgeschoß etwa die schmalen Fenster mit Pappkartons derart nach innen erweitert, dass man sich in einer dicken Trutzburg wähnt (Galerie Elisabeth & Klaus Thoman). Im ersten Stock ist der Künstler und Architekt Laurent Ajina bis zum Messeende damit beschäftigt, die Linien eines großen Gemäldes mit Edding-Marker in den ganzen Raum zu erweitern (Marcello Farabegoli Projects). Und im zweiten Stock gestaltete Sophia Süßmilch ein Kabinett mit schwarzen Wänden, auf die sich Figuren und Symbole aus ihrem unverkennbaren Humor-Horror-Bildkosmos ausbreiten.
Doch auch in klassischeren Präsentationen ist einiges zu entdecken - etwa die surrealen Arbeiten von Alexandra Baumgartner (Galerie arcc.art), die auf Flohmärkten vorgefundene Fotos und Objekte bearbeitet und damit eine David-Lynch-artige Unheimlichkeit erzeugt. Oder die Gemälde von Schlafenden, die Michaela Schwarz-Weismann in einem Raum gemeinsam mit einer "Schlaf-Performance" vorstellt.
Die Gesamtfülle des Angebots ist innerhalb eines Besuchs allerdings kaum zu bewältigen, auch die Überforderung gehört zum Konzept. Da nach der großen Parallel-Eröffnungsparty am Dienstag (25.9.) bereits die Vernissage der Messe viennacontemporary in der Marx Halle ansteht (Öffnungstage für Publikum 27.-30. September), kommt das Kunstinteressierte Publikum in Wien kaum zur Ruhe. Die geballte Wucht ist aber offenbar notwendig, um zu zeigen, welche Vielfalt Wien im Bereich zeitgenössischer Kunst zu bieten hat.