"Wir sind wieder bei den Gladiatoren"
Von Guido Tartarotti
Wie der KURIER aus einer sicheren Quelle erfuhr, wird Hartmann nächstes Jahr bei den Salzburger Festspielen Nestroys "Lumpazivagabundus" mit Nicholas Ofczarek inszenieren. Im Interview bestätigte Hartmann nur, dass er in Salzburg mit Ofczarek arbeiten will.
KURIER: Haben Sie Felix Baumgartners Sprung gesehen? Ist das für Sie tolles Theater?
Matthias Hartmann: Ja. Das Ereignis erzählt viel über unsere Sensationssucht.Wir sind wieder bei den Gladiatoren. Das Spiel mit dem Tod ist sicher Ausdruck höchster gesellschaftlicher Dekadenz. Auch ich wurde in den Bann dieses Ereignisses gezogen – aber wir sollten dennoch reflektieren, was das ist, das da in uns angesprochen wird: das Archaische. Seit der Aufklärung stellen wir uns Aufgaben, ohne die archaische Konstruktion des Menschen zu berücksichtigen. Wir wollen friedfertig und gleichberechtigt miteinander leben, auch zwischen den Geschlechtern – allein derWille scheint nicht stark genug. Beobachten wir die Tauben vor dem Stephansdom. Sofort weiß ich, wer er ist und wer sie. Sind wir wilde Tiere? Passen die Geschlechter nicht zusammen? Der Aufklärung steht immer der Abgrund entgegen. Muss man das antizipieren.
Auch auf dem Theater?
Auf dem Theater haben wir es leichter, da werden wir immer mit der Ambivalenz konfrontiert. Deswegen habe ich eine Grundskepsis gegenüber der Verurteilung menschlicher Schwächen. Gerade ich als Theaterdirektor muss diese Schwächen antizipieren, muss verzeihen können, muss neue Chancen geben können – sonst könnten wir in so einem komplexen Gebilde gar nicht zusammen arbeiten.
Was ist mit der aufklärerischen Aufgabe des Theaters?
Das hat sich grundlegend geändert. Es war eine Nachwehe der 68er-Bewegung, das Theater misszuverstehen als einen Ort der Aufklärung in dem Sinne: Wir wissen, was das Falsche und das Richtige ist. Diese Geschichte ist langweilig, die will ich nicht mehr erzählen.
Stichwort: Gleichberechtigung. Inwiefern sind die Geschlechter unterschiedlich konstruiert?
Das Menschenrecht auf Gleichbehandlung ist unabhängig von der biologischen Verschiedenheit der Individuen. Genauso ist es mit der Gleichberechtigung von Frau und Mann. Darum will ich fragen, ob wir genug tun, um die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu verstehen? Die Taube und der Tauberich. Was daran Kultur ist, was Biologie? Diese Debatte ist ideologisch so besetzt, dass wir uns fragen müssen, ob wir auch mutig genug damit umgehen.
Politisch korrekt ist das Theater ja nicht.
Ich weiß nicht... sagen Sie mir, was politisch korrekter Sex ist!
Langweilig?
Ich weiß gar nicht, wie das geht. "Ich wollte höflichst fragen, ob ich mich mit dir vereinigen darf?" Sex ist schmutzig und geil und Grenzen überspringend ... und dient unter anderem auch der Fortpflanzung. Und wir blenden das aus! In welcher komischen, aseptischen Welt leben wir, dass wir ausblenden, dass wir triebgesteuert sind? Das heißt im Umkehrschluss aber keineswegs, dass wir uns der Kreatur ergeben sollen! Aber das Tier in uns antizipieren, das sollten wir.
Sie haben die Sehnsucht nach Todesgefahr angesprochen. Im Theater ist der Tod auch allgegenwärtig – nur stehen die Schauspieler nachher wieder auf.
Wir sterben den ganzen Tag auf der Bühne. Heute hat Ofczarek zwei Mal versucht, Herrn Voss tot zu schießen. Es ist ihmnicht gelungen. Wenn es ihm gelänge, würde Herr Voss wieder aufstehen. Das ist das Schöne am Theater.
Was macht Ofczarek sonst noch in dieser Spielzeit?
Dass er bei uns den Liliom spielt, sickert ja nun langsam durch. Ich werde mit Ofczarek in Salzburg bei den Festspielen arbeiten, mehr kann ich nicht verraten. Ich darf der Pressekonferenz der Salzburger nicht vorgreifen.
Sie spielten vorhin auf die Proben zu "Onkel Wanja" an. Wie laufen die Proben? Sie suchen ja meistens bis kurz vor der Premiere...
Wir haben eine Richtung. Und diese lautet: Anders als in den großen Tschechow-Inszenierungen der achtziger und neunziger Jahre gibt es bei uns kein Räsonieren und auch nicht kein atmosphärisches Gewese, sondern ein sehr striktes psychologisches Gebäude. Da gibt es ganz klare, psychologische Kausalketten. Ich möchte es zuspitzen, ich möchte es hart haben, brutal, es soll die Hölle sein, die Hölle des Lebens. Und darüber muss man fast schon wieder lachen können.
Sie machen in dieser Spielzeit noch eine Jelinek-Uraufführung. Und Sie inszenieren ausgerechnet Grillparzers "Ahnfrau".
Bei Jelinek muss ich versuchen, die Monströsität des Textes zu unterlaufen, ihr dann auch wieder zu verfallen. Es ist eine Frage der Musikalität, des Einfallsreichtstums. Und danach kann ich mir ein ästhetisches Geplänkel mit Grillparzers etwas krudem Schauermärchen gut vorstellen. Er steht mir als Autor nicht nahe – dadurch kann ich mit einer gewissen Schamlosigkeit mit dem Text umgehen.
Viele machen ja an Jelinek das Problem des modernen Theaters fest: Die bösen Textflächen!
Ich finde diesen Geschmacksfaschismus furchtbar. Die einen sagen, man darf keine Textflächen machen, andere sagen, dass das klassische Theater konventionell und spießig ist. Warum müssen wir immer darüber reden, wie Theater sein darf? Warum machen wir nicht, was wir wollen – und wenn es gut wird, wird es gut? In Wahrheit wäre es doch der Auftrag des öffentlich subventionierten Theaters, noch viel mehr Experimente zu machen. Ich werde mich daran messen lassen müssen!
Ihnen wird ja vorgeworfen, Sie würden das Burgtheater kommerzialisieren.
Der Vorwurf ist ungerecht. In Deutschland – viel stärker noch als in Österreich – gilt: Wenn etwas gut läuft, traut man der Sache nicht.
Was sagen Sie zum Friedensnobelpreis für die EU?
Ich erwäge, das einmal in meine Autobiografie zu schreiben: Friedensnobelpreisträger 2013! (lacht) Nein, ich finde es wichtig, in einer durchkommerzialisierten, globalisierten Welt den Fokus darauf zu richten, dass unsere Demokratie europäischen Zuschnitts es schafft, den Frieden zu sichern.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Claus Peymann, der demnächst die Ehrenmitgliedschaft des Burgtheater bekommt?
(denkt lange nach) Jetzt schreiben Sie sicher hin: "Hartmann schweigt".
"Denkt lange nach"...
Claus Peymann hat für die Sache des Theaters, speziell der des Burgtheaters, historische Bedeutung. Dafür gebührt ihm mein ganzer Respekt. Die Diskrepanz in seinem Umgang mit Menschen einerseits und seinem ständigen Bekenntnis zur Gerechtigkeit andererseits, die kann für mich nicht beispielhaft sein. Das ist typisch für die ganze Generation: Man schwenkt die Flagge der Gesinnung, um damit wirtschaftlichen Erfolg zu generieren.
Das Flaggenschwenken ist ihre Sache nicht?
Nein, nein, nein. Das hat mir auch oft geschadet. Mein Vater war Radikallinker, und meine Mutter war Antroposophin. Und ich, ich bin völlig ideologiefeindlich. Ich habe mich nur in der Anti-Atomkraft-Bewegung engagiert, weil ich es absurd finde, dass wir unseren Nachfahren einen Koffer hinstellen und sagen: Diese Koffer müsst ihr bewachen, für 100.000 Jahre. Dass wir im archaischen Sinne so blöd sind – und damit sind wir wieder beim Beginn – dass uns, wie man bei uns sagt, die Schweine beißen.
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