Kultur/Wiener Festwochen

Es war ein starker Festwochen-Jahrgang

Die Festwochen waren politisch und gesellschaftlich so aktuell wie selten zuvor: Von Griechenland bis zum Thema Integration, von lateinamerikanischem Autorentheater bis zur Situation in Ungarn und zur Lage in Afrika – all das wurde bei der umfassenden Leistungsschau des Welttheaters in Wien aufgegriffen.

Daneben gab es großes klassisches Theater mit hohem Starfaktor und viele kleine, feine Produktionen.

Es waren die vorletzten Festwochen unter der Leitung von Luc Bondy, der ab Herbst (ein Jahr parallel zu Wien) das Pariser Odéon-Theater übernimmt – übrigens seine allererste Intendanz bei einem Ganzjahrestheater. Ab 2014 tritt dann Markus Hinterhäuser, zuletzt Intendant in Salzburg, in Wien an.

Vor den allerletzten Premieren (gestern, Dienstag, Sebastian Nüblings munter-makabre Inszenierung von Simon Stephens’ Kriminalstück "Three Kingdoms" im Theater an der Wien) ziehen die KURIER-Kritiker Bilanz: Es war ein sehr gutes Festival.

Zum zweiten Mal gab es bei den Festwochen eine Nachwuchs-Kritiker-Initiative: Sieben junge Kritiker­Innen, die noch die Schule in Wien besuchen, versuchten sich für die Festwochen an dieser Profession. Ihre Kritiken können Sie auf der Festwochen-Homepage (www.festwochen.at) unter dem Stichwort "Jugendfrei" (in Kooperation mit www.die-junge-buehne.de ) finden.

Gert Korentschnig - Top: Mnouchkine und Blanchett

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Es ist diesmal ganz klar, was die beste Produktion der Festwochen war: Ariane Mnouchkines "Les Naufragés du Fol Espoir": Wie die Magierin die Genres Stummfilm und Theater verknüpft, ist große Klasse.

Der Star des Festivals 2012 ergibt sich auch von selbst: Cate Blanchett. Ihre Darstellung der Lotte in "Big and Small" von Botho Strauß ist uneitel und zutiefst berührend.

Viel Kraft hatte "Böse Buben" von Ulrich Seidl, seine erste Wiener Theaterproduktion. Zu vernachlässigen war eine andere Eigenproduktion: Verdis "La Traviata". Sängerisch nur mittelmäßig besetzt, dirigentisch (Omer Meir Wellber) zutiefst enttäuschend.

Womit wir bei der kulturpolitischen Komponente wären. Der szenische Musikbereich liegt ziemlich brach, da gibt es für den künftigen Intendanten Markus Hinterhäuser ab 2014 viel zu tun und in Folge auch zu ernten. Dass seine designierte Co-Intendantin Shermin Langhoff in Berlin bleibt, könnte ein Segen sein.

Michaela Mottinger - Nur das Feinste bis ins "Kleinste"

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Mit 30 Produktionen stemmte Schauspieldirektorin Stefanie Carp ein gewaltiges Programm. Und, sportlich gesagt, sie hatte einen Lauf.

Was Carp anbot, gelang:

Starproduktionen mit Cate Blanchett, von Ariane Mnouchkine oder Simon McBurney, der bei "The Master and Margarita" mit einem Bilderbogen das Burgtheater verzauberte.

Uraufführungen namhafter Österreicher, von Peter Handke (auch wenn "Die schönen Tage von Aranjuez" nicht sein von den Musen heftigst geküsster Text sind) über Paulus Hochgatterers fabelhafte Tragifarce "Makulatur" bis zu Filmemacher Ulrich Seidls Kellerstück "Böse Buben/Fiese Männer".

Carp, die Über-den-Tellerrand-Blickerin, bot bis ins "Kleinste" Feinstes. Zwei wunderbare Highlights: Das gewagte Shoa-Märchen "Ganesh Versus the Third Reich", gespielt von Darstellern mit Downsyndrom, und "Le Socle des Vertiges" vom kongolesischen Theatermann Dieudonné Niangouna.

Markus Hinterhäuser sollte die Carp fragen, was sie in den nächsten Jahren vorhat ...

Peter Jarolin - Tolles am "Nebenschauplatz"

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Als neuer Intendant der Wiener Festwochen tritt Markus Hinterhäuser ein schweres und ein leichtes Erbe an. Schwer, weil der von Stefanie Carp programmierte Theaterbereich auch heuer wieder viele Höhepunkte bereithielt und für jeden Geschmack etwas dabei war. Besonders erfreulich: Viele Produktionen beschäftigten sich mit dem aktuellen Zeitgeschehen.

Leicht, weil der Musiksektor quasi inexistent ist. Zwar gab es mit Luca Francesconis "Quartett" (nach Heiner Müller) eine sehr gelungene zeitgenössische Oper; über Verdis "La Traviata" kann nichts Gutes gesagt werden. Und doch gab es viele musikalische Höhepunkte. Allerdings an einem, von den Festwochen gern als Nebenschauplatz betrachteten, Ort, dem Musikverein.

Was Musikvereinschef Thomas Angyan hier jeden Abend bot, verdient die Bezeichnung Weltklasse. Die besten Künstler, die größten Werke und exemplarische Interpretationen – so soll es in der Musikhauptstadt Wien ja auch sein.

Guido Tartarotti - Das Beste wird gewesen sein

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Eine keineswegs riskante Prognose: Der Höhepunkt der Festwochen wird Mittwochabend stattgefunden haben (wann hat man als Journalist schon die Möglichkeit, die Vorzukunft zu verwenden?). Zwar hat der Rezensent noch keine Szene gesehen, aber er ist sicher: Christoph Marthalers Inszenierung von Horváths "Glaube Liebe Hoffnung" wird etwas, von dem man noch lange sprechen wird – so wie von Marthalers Regiearbeit bei "Kasimir und Karoline" (1997), die bis heute als Maßstab für Horváth-Inszenierungen gilt. Horváths Lakonik und Marthalers leise, entschleunigte Musikalität – das ist stets eine glückhafte Kombination. Der Stoff – ein Mädchen geht in Zeiten der Krise an Gleichgültigkeit und "den Umständen" zugrunde – ist zudem brandaktuell.