Kultur

Matti Bunzl will wissen: Wie ist Wien als Stadt neu zu denken?

Die Idee zur nächsten Etappe seiner Berufskarriere hatte er in seiner Lieblingskonditorei, der "Aida" auf der Praterstraße, wo er sich am liebsten eine Himbeer-Kardinalschnitte servieren lässt.

Matti Bunzl, geboren und sozialisiert in der Wiener Leopoldstadt, nicht ausgewandert, aber nach dem Studium in Stanford an der University of Chicago "hängen geblieben", kehrt nach fast einem Vierteljahrhundert in den USA zurück.

Der designierte Wien-Museum-Leiter als Nachfolger von Wolfgang Kos – er geht Ende September 2015 in Pension – ist derzeit noch Professor für soziale Anthropologie in Illinois. Der 43-Jährige hat sich u. a. mit Judentum, Antisemitismus, Islamophobie sowie Fragen der Kunstvermittlung beschäftigt.

Als künstlerischer Leiter des "Chicago Humanities Festival" seit 2010, mit jährlich rund 100 Veranstaltungen und 50.000 Besuchern, hat er auch Know-how im Kulturmanagement. Bunzl: "Mit dieser Erfahrung dachte ich mir: Das Wien Museum wär’ doch was."

Für Kultur-Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny ist der Wiener aus Amerika unter den insgesamt 50 Bewerbern um den Job ein "Glücksfall". Denn Bunzl bringe nicht nur Visionen und Kompetenz, sondern auch Tatkraft und Enthusiasmus mit:

Esprit

"Er kennt die Stadt und ihre Geschichte und verfügt über ein weltweites Netzwerk im Bereich Kunst, Kultur, Wissenschaft und Politik. Er beweist: Akademische Seriosität und intellektueller Esprit müssen kein Widerspruch sein. Er ist einer der besten Theoretiker in seinem Fach und ein ebenso guter Praktiker."

Bunzls Aufgabe ist es, Antworten auf die Frage zu finden, "wie die Stadt neu zu denken ist". Er soll den Standort Karlsplatz mit dem bevorstehenden Um- und Neubau des Museums weiterentwickeln und "den ersten Kulturbau des 21. Jahrhunderts in Wien mitgestalten", so der Stadtrat. Bunzl soll das Haus als Museum der Gegenwart und Zukunft positionieren. Als einen "Ort des Aufbruchs und der Kommunikation".

Labor

"Ich sehe es als Labor der Zivilgesellschaft. Im Wien Museum verhandelt die Stadt, wie sie war, ist und in Zukunft sein wird", so Bunzl, der auf eine "intellektuelle Aktivierung der Stadt" setzt.

Das Haus mit einem Schatz von mehr als einer Million Objekten müsse auch keineswegs auf Wien beschränkt sein. Im Gegenteil: Angestrebt ist eine internationale Ausrichtung. Bunzls Kalkül: "Wie können wir darstellen, was an Wien besonders ist, wenn wir die Stadt nicht im Kreis anderer Weltstädte verstehen und zeigen?"

Seine Position als pragmatisierter Professor wird Bunzl für seinen neuen Job im Wien Museum aufgeben: "Das ist vielleicht gestört, aber manche Möglichkeiten sind zu wichtig, als dass man sich hier windet."

Am Dienstagnachmittag begann ein Name zu kursieren, wie das immer so ist bei Neubestellungen: Matti Bunzl soll das Wien Museum übernehmen.

Die erste Frage dazu war:

Wer?

Nein, Bunzl ist kein erfahrener Museumschef, kein Name, der sich aufgedrängt hätte. Bei diesem Namen sagt man nicht: "Ja, klar", sondern muss erstmal recherchieren.

Ein Anruf an der Universität von Illinois - dort findet man Kontaktdaten für Bunzl (hier geht's zum Profil)- half nicht weiter: Dort wusste man von nichts.

In Museumskreisen aber begann man schnell zu versichern, dass Bunzl der Richtige ist. Denn der Sohn des Wiener Historikers John Bunzl hat sich als brillanter Kopf und scharfer Kritiker eines selbstverliebten Museumsbetriebs profiliert. Er ist gegen Kommerz-Ausstellungen, gegen die Seichtigkeit von Blockbuster-Schauen und für eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem, was beim Wien Museum im Zentrum steht: Mit dem Menschen, nämlich. Die Ausstellungstätigkeit des Wiener Stadtmuseums dürfte also spannend werden. Das war es auch schon unter Wolfgang Kos.

Aber das ist nicht alles, nein, es ist vielleicht sogar der geringere Teil der Aufgaben, die Bunzl in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Denn das Wien Museum steht vor einem großen Umbau: Am Karlsplatz werden neue Räume geschaffen. Währenddessen das Publikum und die Mitarbeiter bei Laune und das Außenbild des Museums intakt zu halten, wäre für einen erfahrenen Museumschef eine Aufgabe. Für Bunzl wird das eine Herausforderung.

Die Berufung in die Direktion des Wien Museums ist für Matti Bunzl gewissermaßen eine Rückkehr in die Heimat. Seit mittlerweile rund einem Vierteljahrhundert hat sich der in Wien-Leopoldstadt aufgewachsene 43-Jährige eine wissenschaftliche Karriere in den USA aufgebaut. Die Idee, sich als Museumschef zu bewerben, ist ihm jedoch in seinem Wiener Stammcafe - der Aida in der Praterstraße - gekommen.

"Ich bin dort im Februar gesessen und habe in der Zeitung gelesen, dass Direktor Wolfgang Kos bald in Pension geht und ein Nachfolger gesucht wird", erzählte Bunzl anlässlich der Verkündung seiner Bestellung durch Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ). Noch im Flugzeug zurück in die USA habe er seinen ersten Bewerbungsentwurf geschrieben.

Geprägt habe ihn seine künftige Wirkungsstätte schon in jungen Jahren, bekannte Bunzl, der aus einer jüdischen Familie stammt und 1971 als Sohn des Politologen und Nahostexperten John Bunzl geboren wurde. Der Besuch der von Hans Hollein 1985 für das Wien Museum gestalteten Ausstellung "Traum und Wirklichkeit", welche die Metropole im Zeitraum von 1870 bis 1930 unter die Lupe nahm, sei ein "intellektuelles Schlüsselerlebnis" für ihn gewesen.

Nicht allzu überraschend also, dass sich Bunzls erste wissenschaftliche Arbeiten vor allem mit dem Wien der Jahrhundertwende beschäftigten. Damals war er bereits in den USA, wo er an der Stanford University sein Studium der Anthropologie abschloss. Danach wechselte er an die University of Chicago, wo er 1998 promovierte. "Ich bin dort einfach hängen geblieben", erinnerte sich Bunzl heute.

Er forschte, lehrte und publizierte etwa zu den Themen Judentum, Antisemitismus und Islamophobie oder zu theoretischen Fragen der Kunstvermittlung oder der Museologie der Avantgarde. Derzeit ist Bunzl Professor für soziale Anthropologie an der Universität von Illinois.

Als Veranstalter des "Chicago Humanities Festivals" konnte sich Bunzl seit 2010 zudem Know-how im Kulturmanagement zulegen: "Mit dieser Erfahrung habe ich mir gedacht: Das Wien Museum wär' doch was."

Seine Pragmatisierung als Professor wird Bunzl für seinen neuen Job im Wien Museum übrigens aufgeben. "Das ist vielleicht gestört, aber manche Möglichkeiten sind zu wichtig, als dass man sich hier windet", kommentierte er seinen Entschluss heute. Nachsatz: "Die Aida ist Schuld." Für Interessierte: Am Besten schmeckt dem Noch-Wahl-Amerikaner die Himbeer-Kardinalschnitte.

Die Bestellung von Matti Bunzl hat nicht nur beim grünen Koalitionspartner wohlwollende Worte evoziert. Auch die ÖVP-Kultursprecherin Isabella Leeb freute sich "auf die interessanten neuen Zugänge der zukünftigen Museumsgestaltung", wie sie per Aussendung bekundete.

Sie mahnte allerdings, dass die Wiener Kulturpolitik - angesichts des anstehenden Um- und Zubaus - vor großen organisatorischen wie finanziellen Herausforderungen stehe. "Als gelernte Wienerin und auch nach den Erfahrungen, die ich mit der Dauer der Standortwahl für das Wien Museum gemacht habe, ist Skepsis angebracht", ließ sie Zweifel am Zeitplan anklingen, wonach mit den Bauarbeiten in der zweiten Jahreshälfte 2015 begonnen werden soll. Denn Architekturwettbewerb wie Finanzierungspläne ließen auf sich warten.

"Höchst erfreut" zeigte sich indes der grüne Kultursprecher Klaus Werner-Lobo. Bunzl stehe für Diversität, Partizipation und Inklusion und sei sowohl ausgewiesener Experte im museologischen Bereich als auch bestens mit Kultur- und Wissensvermittlung vertraut.

Es war „das größte öffentliche Event, das Wien jemals veranstaltet hat“, erklärt Museumsdirektor Wolfgang Kos. Der Befund gilt bis heute: Neben der Weltausstellung, die 1873 insgesamt 7,25 Millionen Menschen nach Wien zog, nehmen sich sämtliche Donauinselfeste, Messen und Life-Bälle als Fußnoten aus.

Doch die Ausstellung war nur die Zugmaschine für eine viel tiefer greifende Stadterneuerung, deren Resultate wir noch heute sehen, spüren und nutzen. Dies begreifbar zu machen, ist das große Verdienst von „Experiment Metropole“ – einer Schau, deren Besuch man allen Stadtbewohnern sowie allen Wien-Interessierten nur mit Nachdruck ans Herz legen kann.

Stadt im Entstehen

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Eine Fülle von Fotos und zeitgenössischen Illustrationen, aber auch von Kleidern, Möbeln und Maschinen vermittelt einen Eindruck davon, in welch massivem Umbruch sich Wien um 1870 befunden haben muss. Die Prachtbauten der Ringstraße wurden damals im Eiltempo aus dem Boden gestampft – auf Fotografien sieht man noch den Volksgarten ohne die „Neue Burg“ und eine Baugrube dort, wo heute die Staatsoper steht.

Projektzeichnungen für ein Riesenpalais zwischen Ballhausplatz und Burgtheater sowie für einen Zentralbahnhof am Stephansplatz (!) machen dazu deutlich, dass der Eifer der Gründerzeit kaum Grenzen kannte. Das Wien Museum vermittelt dazu äußerst verständlich die wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe – etwa mit einer Schautafel zu den wichtigsten Ringstraßen-Palais, versehen mit kurzen Porträts ihrer Erbauer, den Todescos, Wertheimers oder den Liebens.

Neben dem Reichtum steht die Infrastruktur im Zentrum der Erzählung: Die Donauregulierung von 1869– ’75, durch die der Strom seinen heutigen Lauf nahm, ist mit digital animierten Fotografien der damals eingesetzten Maschinen und Bauarbeiten wunderbar lebhaft aufbereitet. Der Hochquellenleitung und dem Bau der großen Brücken und Bahnhöfe sind weitere Kapitel der Schau gewidmet: Es waren allesamt Projekte, die die Grundlage für das heutige Funktionieren der Stadt bilden.

Die Wiener Wies’n

Die Geschichte der Weltausstellung wird zu dieser Stadthistorie parallel erzählt – die Farbe der Wandtafeln sagt den Besuchern, worum es gerade geht. Anhand eines Modells und zahlreicher Bilder werden einem die enormen Dimensionen der Schau klar, deren Hauptanlage – mit der 1937 abgebrannten Rotunde im Zentrum – sich vom Ende des Wurstelpraters bis zum Standort des heutigen Happel-Stadions erstreckte. Viele der Exponate – von Kunst über Maschinen bis zu Exotika war alles zu sehen, was man auf der Höhe der Zeit glaubte – fanden ihren Weg in Wiener Museen und wurden nun zu einem Rundgang en miniature arrangiert.

Doch „Experiment Metropole“ zeigt auch die weniger glamourösen Seiten der Schau, die sich finanziell als grandioses Verlustgeschäft erwies. Auf einer Karikatur mit dem Titel „Internationales Verbrüderungs-Fest“ sind Menschen in Trachten verschiedenster Länder zu sehen, die sich hemmungslos mit Schwechater Bier betrinken. Ein solch lustvolles Pendeln zwischen großen Ideen und Details, zwischen offizieller Repräsentation und Alltagsgeschichte – das bringt wohl nur das Wien Museum mit seiner vielseitigen Sammlung zustande.

Bilder der Ausstellung

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Zwei Themen, eine Epoche

Die Ausstellung „Experiment Metropole. 1873 – Wien und die Weltausstellung“ verfolgt zwei Erzählstränge: Zum einen geht es um ein Porträt der Stadt Wien um 1870, als große Bauprojekte, aber auch große Probleme wie Überbevölkerung und schwache Hygienestandards bewältigt werden mussten. Die Geschichte der Weltausstellung ist mit diesen Dingen verwoben: Zu den Zeichen des Fortschritts gesellten sich 1873 in Wien auch ein Börsencrash und eine Cholera-Epidemie.

Die Ausstellung, kuratiert von Wolfgang Kos und Ralph Gleis, ist bis 28. September im Wien Museum am Karlsplatz zu sehen. An dem umfangreichen Katalog (Czernin Verlag, 45 Euro) waren zahlreiche Autoren aus verschiedenen Fachgebieten beteiligt; der Band wird so auch zu einem „Nachschlagewerk“ zum Wien der Gründerzeit.