Wie man eine Speed-Süchtige spielt
Von Guido Tartarotti
Ein Mann und eine Frau, verbunden durch eine intensiv gelebte Vergangenheit, einen Roman und durch ein großes Geheimnis. Sie ist drogensüchtig, er versucht mit allen Mitteln, sie zu retten. „Speed“ von Zach Helms (2008 unter dem Titel „Good Canary“ mit John Malkovich in Paris uraufgeführt) ist ein atemberaubendes Stück über Drogensucht und die Unmöglichkeit, sich anzupassen, eine Satire auf den Literaturbetrieb und vor allem eine große Liebesgeschichte.
KURIER: Wie laufen denn die Proben – Sie sehen beide so entspannt aus?
Raphael von Bargen: Die Proben sind gut und konzentriert, sie sind kein sommerlicher Spaziergang.
Sandra Cervik: Die Thematik ist ja sehr intensiv. Man dringt in Gebiete vor, wo man als Schauspieler lange nicht mehr war.
Wie spielt man eine Speed-Süchtige?
Cervik: Es gibt den investigativen Aspekt unseres Berufs, dass man eben recherchiert, wie sieht das aus, wie sind die Symptome? Und so versucht man, einen Zustand herzustellen.
Von Bargen: Wobei es ja am Theater nicht darum geht, eine Eins-zu-eins-Abbildung der Realität zu erzeugen. Durch die Drogenthematik im Stück können wir uns an extremen Beziehungszuständen abarbeiten, die man im Leben üblicherweise von sich und seinem Gegenüber in dieser Form nicht kennt.
Alkohol ist bei uns ja eher verbreitet, Speed weniger.
Von Bargen: Ach! Das würde ich nicht unbedingt sagen.
Cervik: Alkohol wirkt sich anders aus.
Von Bargen: Viele Leute werden unter Alkoholeinfluss eher unsensibel ... Speed dagegen macht ganz klar, das ist ja auch das Tolle und Beängstigende daran.
Man unterstellt Künstlern ja oft Nähe zu Drogen. Kennen Sie Kollegen, die Probleme haben?
Cervik: Ich denke schon, ja.
Von Bargen: Ja. Aber so, wie man im normalen Leben auch Menschen kennt, die zu viel trinken. Das ist ja ein fließender Übergang ...
In Wahrheit ist „Speed“ ja auch kein Stück über Drogen, sondern eine Liebesgeschichte.
Cervik: Wir haben beide festgestellt, dass wir selten eine so intensive Liebesgeschichte zu spielen bekamen!
Man erfährt ja nicht viel über die beiden. Was verbindet sie?
Cervik: Die Liebe? Die Liebe!
Von Bargen: Definieren Sie Liebe bitte – jetzt! Man muss sich bei diesem Stück wenig ausdenken, was die Geschichte der beiden sein könnte. Das ergibt sich auf den Proben, im Spiel.
Cervik: Ich empfinde es auch als große Qualität dieses Stücks, dass man so wenig biografische Daten bekommt. Das macht unseren Kopf auf, aber auch den des Zuschauers oder Lesers.
Warum braucht die Figur Annie Drogen, was zerstört sie?
Cervik: Ich glaube, sie ist nicht für diese Gesellschaft gemacht. Sie hat das tiefe Gefühl, nicht so sein zu können, wie man es erwartet.
Jack ist vordergründig eine schwache Figur, aber in Wahrheit hat er eine enorme Stärke.
Von Bargen: Er entspricht nicht unserem Grundmodell vom Macho. Aber er ist auch kein Softie. Er ist ein ganz starker Charakter und einer, der bedingungslos liebt.
Das Stück ist ja auch eine Satire auf den Kunstbetrieb. Kennen Sie die beschriebenen Lächerlichkeiten? Haben Sie schon Abende erlebt, wie die im Stück beschriebene Party?
Cervik und von Bargen: Oh ja!
Die lächerliche Figur im Stück ist ja der Kritiker ...
Cervik und von Bargen: (lachen hell auf).
Wie gehen Sie mit Kritiken um?
Cervik: Ein kompliziertes, nie enden wollendes Thema zwischen denen, die sich etwas aus dem Leib reißen, und denen, die sie beurteilen. Zu behaupten, das wäre kein kompliziertes Verhältnis, wäre eine blanke Lüge.
Schriftsteller-Story
Stück
Jack ist Schriftsteller, seine drogensüchtige Frau Annie macht den Haushalt. Als sich der ganz große Erfolg ankündigt, droht ihre Liebe zu zerbrechen.
Autor
Zach Helm ist Schriftsteller, Drehbuchautor („Stranger Than Fiction“) und Filmregisseur („Mr. Magoriums Wunderladen“). „Speed“ wurde unter dem Titel „Good Canary“ 2008 in Paris uraufgeführt. Die Josefstadt bringt die deutschsprachige Erstaufführung heraus, Stephanie Mohr inszeniert.
Darsteller
Sandra Cervik spielt seit 1999 in der Josefstadt und derzeit auch in der TV-Serie „SOKO Donau“. Raphael von Bargen spielte am Volkstheater, am Burgtheater und gastiert derzeit in der Josefstadt.