Kultur

Wenn Pippi Langstrumpf zur Frau heranreift

Geht es nach dem Buh-Orkan, der Regisseur Christof Loy zuletzt entgegenschlug, dann ist die Neuinszenierung von Gioachino Rossinis "La donna del lago" im Theater an der Wien ein echter Flop. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Worum geht es, und womit hat Loy das Publikum so provoziert?

In Rossinis romantischer Oper aus dem Jahr 1819 (Vorlage: Sir Walter Scott) geht es um besagte "Dame vom See" (so der deutsche Titel) namens Elena, die von mehreren Männern begehrt wird.

 

Liebesreigen

Da ist der junge König Giacomo, der sich – inkognito reisend – in die Schöne verliebt. Da gibt es einen gewissen Rodrigo, den Elenas Vater ihr als Mann zugedacht hat, weil er die Regimegegner anführt. Und dann ist da noch Malcolm, den Elena im Original wirklich liebt und den sie – nach dem Tod Rodrigos und dem Verzicht des Königs – tatsächlich kriegt.

So weit, so gut, so sahen es Rossini und dessen Librettist Leone Andrea Tottola. Wie aber bringt man diese Geschichte aus den schottischen Highlands auf die Bühne, ohne Männer in Strumpfhosen auftreten zu lassen?

Regisseur Christof Loy und sein kongenialer Ausstatter Herbert Murauer haben sich dazu einiges, auch sehr Kluges überlegt. Aus Elena wird ein junges Mädchen, eine Art Pippi Langstrumpf Schottlands, die sich in Traumwelten flüchtet, weil sie das Erwachsenwerden, ihre aufkeimende Sexualität und den Provinz-Mief der (hier) 70er- Jahre nicht aushält.

Malcolm wiederum ist Elenas Alter Ego – mit Rothaarperücke, Haube, Schal, Socken und Mantel (wie Elena); eine reine Traumprojektion. Eine solche ist anfangs auch Giacomo, der bei Loy aber mit Elena vor dem Traualtar endet, der somit real wird. Während Rodrigo (wie auch Elenas Vater) als alternder Dorfwirtshaus-Maulheld im Kilt mit Hang zu sehr jungen Mädchen gezeigt wird.

Psychodrama

Dazu gibt es eine Bühne auf der Bühne sowie jede Menge psychologischer Anspielungen und Metaphern. Das alles hat Loy unfassbar konsequent – die Produktion kommt aus Genf – in Szene gesetzt; eine starke Personenführung inklusive. Dass sich einige Ideen und Gedanken logisch nicht ausgehen, liegt auf der Hand. Aber Loy hat Rossinis großartige Musik inszeniert, die Emotionen dahinter seziert.

Das macht auch Malena Ernman als darstellerisch faszinierende, mit den Koloraturen virtuos spielende Pippi-Langstrumpf-Elena. Ernmans Interpretation geht unter die Haut, bleibt lange im im Gedächtnis haften. Die so fabelhafte Singschauspielerin lässt dabei auch vokal kaum Wünsche offen.

Stimmlich und darstellerisch nicht minder exzellent: Die armenische Altistin Varduhi Abrahamyan als Malcolm. Absolut konkurrenzfähig: Tenor Luciano Botelho als sympathischer, gesanglich meist sehr tapfer agierender Giacomo. Mächtig orgelnd: Gregory Kunde als Rodrigo sowie Maurizio Muraro als Elenas Vater. Dazu kommen der gewohnt gute Arnold Schoenberg Chor sowie das RSO-Wien, das unter der kundigen Leitung von Leo Hussain Rossinis Melodien stets sehr ansprechend zum Klingen bringt. Extrem spannend.

KURIER-Wertung: **** von *****