"We Stand With Ukraine": Lichtermeer für 109 Kinderengel
Nicht wenige hatten beim Finale des „We Stand With Ukraine“-Benefizkonzertes im Wiener Ernst-Happel-Stadion Tränen in den Augen. Ina Regen war noch einmal auf die Bühne gekommen, stimmte „Imagine“ von John Lennon an, während alle beteiligten Musiker zurück auf die Bühne kamen, um im Chor zu singen.
Aber diesen Song riss das Publikum an sich. Der Text dieses Klassikers von 1971, der Frieden als genauso wunderbar wie im Kern einfach beschreibt, wurde auf den Videoschirmen seitlich der Bühne eingeblendet. Inbrünstig singend schickte man ihn in den Äther – in dem Wissen, dass in der Ukraine gerade jetzt Menschen sterben. Und deshalb in der Hoffnung, dass seine Botschaft vielleicht auch noch irgendwo anders ankommt, wo sie mehr tun kann, als Spenden sammeln.
Dieses Ziel des Events war allerdings von Veranstalter Ewald Tatar perfekt organisiert. Schon vor dem Finale konnte er an Volkshilfe-Chef Erich Fenninger einen Scheck von 810.337.- Euro übergeben, die aus den Einnahmen aus den über 40.000 verkauften Tickets kamen.
Das ist aber längst nicht alles, was das Konzert an Spenden generieren konnte. Nach dem Live-Aid-Muster wurde auch der Reinerlös aus der Gastro und dem Verkauf von Merchandising gespendet. Es gab Freiwillige mit Spendenboxen und Leute, die leere Getränkebecher einsammelten. Wer sie dort abgab, spendete das Pfand dafür.
Beim Joggen im Wald, sagte Tatar im KURIER-Interview, seien ihm all die Ideen für die Gestaltung des Events gekommen, das trotz des Kraftakts, so eine Großveranstaltung in nur 14 Tagen zu organisieren, auch in den Details liebevoll geplant war.
Der Ticketpreis von 19,91 Euro zum Beispiel repräsentierte das Jahr 1991, in dem die Ukraine unabhängig geworden war. Tatar ließ jeden Act einen Friedens-Song aussuchen, der vor dessen Auftritt eingespielt wurde. Darunter waren Klassiker wie „One“ von U2, „Peace Train“ von Cat Stevens oder „One Love“ von Bob Marley. Ebenfalls gegen Spenden konnte man Bodypainting in den Ukraine-Farben haben.
Und neben der Bühne wurden von hinten angestrahlte, übereinandergestapelte Plastik-Container zum effektiven Deko-Element.
Das damit zum österreichischen Live-Aid mutierte Konzert mit zehn Stunden Programm von heimischen Größen wie Wanda, Bilderbuch, Ina Regen, Mathea, Mavi Phoenix, Seiler und Speer und Pizzera & Jaus war aber auch ein höchst emotionales Wechselbad der Gefühle. Denn immer wieder wiesen die Musiker auf den so traurigen Grund hin, warum man hier zusammengekommen war.
Live-Aid Organisator Bob Geldof hatte eine Video-Botschaft geschickt. Er gratulierte zu der Veranstaltung, wies aber auch darauf hin, dass man danach weiter für den Frieden und die Freiheit kämpfen müsse. Und Bundespräsident Alexander Van der Bellen erinnerte an „all die mutigen Menschen, die in Russland gegen diesen Krieg demonstrieren und 15 Jahre Gefängnis riskieren“.
Julia Ivanonva, Sängerin der Hard-Rock-Band Eazy, die das Konzert eröffnet hatte, ist in Russland geboren, hat aber elf Jahre im Westen der Ukraine gelebt, bevor sie für die Band nach Wien kam. „Von den Dokumenten her bin ich aus Russland, aber im Herzen bin ich Ukrainerin, denn ich liebe diese Menschen“, sagte sie dem KURIER. „Meine Freunde sind noch im Westen der Ukraine. Sie sind okay und am Leben, aber es gibt so viele Sorgen und Ängste. Ich weiß nicht, wie sie das aushalten. Sie haben so viel Kraft.“
Die Verzweiflung über diesen Krieg war auch in der Stimme von Lina Barinova von der Hilfsorganisation Youkraine zu hören, als sie auf die 109 Kinder hinwies, die dabei ihr Leben verloren haben. „Der Himmel über der Ukraine wird von 109 Kinder-Engeln bewacht“, sagte sie und bat um eine Schweigeminute, die das Publikum mit einem Lichtermeer erhellte.
Auf der anderen Seite stand die Tatsache, dass man diesen Festival-Tag das erste Mal seit Ausbruch der Pandemie wieder so feiern durfte, wie man es davor gewohnt war und wie es der Musik gebührt – indem man unbeschwert fröhlich den Moment genießt.
Bei Acts wie Yung Hurn, Josh und seiner „Cordula Grün“ oder Wanda und Seiler und Speer konnte man so schön vergessen, was Corona gebracht hatte und was rund 600 Kilometer hinter dieser Bühne über der Grenze zur Ukraine gerade passiert. Das war ein wohltuendes Kraftsammeln, um außerhalb des Ernst-Happel-Stadions in den nächsten Wochen weiter dafür kämpfen zu können, dass schnell das eintritt, was Van der Bellen prophezeit hatte: „Frieden wird sich durchsetzen, Demokratie wird sich durchsetzen, Freiheit wird sich durchsetzen!“