Kultur

"Wastwater": Triptychon der Angst

Schnörkellos, karg, pur. Es ist ein morastiger, devastierter Unort, den Regisseur Stephan Kimmig und Bühnenbildnerin Anne Ehrlich für ihre Version von Simon StephensBühnentriptychon "Wastwater" erfunden haben. Eine nackte Bühne, Säulen, Wasserlacken, ein Mal zwei Stühle, ein Mal ein Campingtisch. Aus.

Wer noch Katie Mitchells Londoner Uraufführungshyperrealismus (die Produktion war im Vorjahr bei den Wiener Festwochen zu Gast) mit schmutzigem Gartenhäuschen und putzigem Hotelzimmer vor Augen hat, begreift schnell: Kimmig am Akademietheater wird andere Bilder im Kopf zum Laufen bringen.

Drei Geschichten von Angst, Schuldigsein und Schuldigwerden

Er inszeniert das "Nicht". Das Nicht-miteinander-reden-Können. Das Einander-nicht-berühren-Können. Das Bitte-nicht-in-Tränen-Ausbrechen. Die Schauspieler stehen im Vordergrund. Und die Geschichten. Drei erzählt Stephens.
Von Angst und Abschied, Schuldigsein und Schuldigwerden. So mysteriös wie Wastwater, der tiefste und düsterste See Englands, so rästelhaft ist der nach ihm benannte, in und um den Flughafen Heathrow angesiedelte Text. Die Szenen hängen zusammen. Den roten Faden hält der Autor in Händen. Er macht klar, dass nichts etwas bedeuten muss, dass alles etwas bedeuten kann, ganz wie er’s will.
Kimmig unterwirft sich dem Diktat. Rührt die Leerstellen nicht an. Geheimnis muss Geheimnis bleiben. Die Bilder im Kopf rotieren...

Herausragende Schauspielkunst

Burg-Grande-Dame Elisabeth Orth und Neuzugang Daniel Sträßer eröffnen den Reigen herausragender Schauspielkunst. Als Ziehmutter Frieda und ihr in die kanadische Fremde ziehender Pflegesohn Harry zeigen sie, wie weh Liebe tut.
Oder Abhängigkeit. Oder Hilflosigkeit. Sie versteckt ihren Abschiedsschmerz hinter trockenem Humor und Brummeligkeit; er ist längst ein Glucken-Flüchtling. Ein getriebener, hypernervöser, Nägel und Pullover zerbeißender. Daniel Sträßer, ein James Dean von Wien.

Aus Szene zwei – 2011 der Schwachpunkt in Mitchells Inszenierung – machen Andrea Clausen und Peter Knaack ein Kabinett(stück) des Grauens. Die Clausen ist sehr schön spooky, wenn sich beim Blind Date in ihren Augen langsam der Wahnsinn Bahn bricht. Polizistin Lisa, die ihre Drogen- und Pornovergangenheit schildert. Wozu "Mark" Knaack irritiert und erstaunt Erdnüsse aus der Minibar futtert.
Im Wastwater, soweit eine Horrorstory von Stephens’ Großvater, sollen unter der stillen Oberfläche Tote am Grund liegen. Im Stück hat jeder eine Leiche im Keller – und wenn er’s selber ist.

Psychothriller des Abends ist Episode drei mit Mavie Hörbiger und Tilo Nest. Sie – ein ehemaliger Zögling Friedas – verkauft ihm ein Kind von den Philippinen. Eine illegale Adoption oder ein Fall von Pädophilie? Hörbiger, die als Gewalttäterin in radikalem Tempo ihre Stimmungen wechselt, ist absolut sehenswert. Dazu Nest als jämmerlicher Feigling.
Da gibt es keine "Distanz zur Rolle" und kein artifizielles Zuviel. Nest ist. Gut.

Michaela Mottinger

KURIER-Wertung: ***** von *****

 

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