„Was mit Sozialismus gemeint war“
Von Rudolf Mitlöhner
Vor vier Jahren, anlässlich des 50. Jahrestags des Beginns der Ära Bruno Kreisky und des 30. Todestags des Langzeitkanzlers, hat Christoph Kotanko ein Buch über den „Kult-Kanzler“ herausgebracht.
Der ehemalige Chefredakteur des KURIER (2003–2010) zeichnet darin ein spannend zu lesendes, facettenreiches Bild des Ausnahmepolitikers (siehe „Zum Abendessen gab es immer Flusskrebse“; KURIER, 22. Feb. 2020). Nun hat der Autor eine erweiterte Neuauflage vorgelegt. Dass diese praktisch zeitgleich mit dem historisch schlechtesten Wahlergebnis der SPÖ zusammenfällt, mag man als Ironie der Geschichte begreifen. Zur Erinnerung: 1979 erreichte Kreiskys SPÖ 51,03 Prozent und 95 Mandate – ein davor wie danach von keiner Partei erzielter Wert.
Die Neuauflage enthält neben bisher unveröffentlichten Fotos auch einen Beitrag, in dem Social-Media-Expertin Ingrid Brodnig zu Wort kommt: ob bzw. wie Kreisky wohl die sozialen Medien nützen würde? Kaum vorstellbar, dass der „Medienkanzler“ sich diese Möglichkeit entgehen ließe: „Social Media lebt von starken Marken“, so Brodnig. Freilich: „Das ständig vibrierende Smartphone würde jedoch seine Aufmerksamkeit binden und ein konzentriertes sachliches Arbeiten unmöglich machen.“
Neu ist auch ein Interview mit Jan Kreisky, Historiker und Enkel. Als sein Großvater starb (1990), war er zwölf Jahre alt. Seine Erinnerungen sind demnach eher privater Natur. Sein abschließender Befund: „Ich vermute, dass viele heute gar nicht mehr wissen, was mit Sozialismus einmal gemeint war.“ Und er wünscht sich: „Die heutige SPÖ sollte ihren eigenen Weg finden.“