Kultur

Warhol-Ausstellung in Wien: Pop-Art gegen den Strich gebürstet

Schon bevor das Coronavirus den Leihverkehr mit Kunst lahmlegte und die Kosten für Kunsttransporte in die Höhe trieb, hörte man das Lamento: Ausstellungen mit den „großen Namen“ seien kaum noch zu realisieren, zu groß seien die Risiken und die durch enorme Marktpreise gestiegenen Versicherungssummen. Königsbeispiel für das Dilemma: Andy Warhol.

Glitzernde Alternative

Die Ausstellung „Andy Warhol Exhibits – a Glittering Alternative“, mit dem das Wiener mumok nun sein Herbstprogramm bestreitet, ist zwar noch immer aufwändig genug – lange war unklar, ob die Leihgaben aus den USA überhaupt eintreffen würden. Doch das Ausloten von Möglichkeiten abseits einer Greatest-Hits-Show führte dazu, dass das Museum nun eine Geschichte erzählen kann, die vielleicht nicht brandneu ist, aber doch kaum Bekanntes in Erinnerung ruft: Einen Andy Warhol aus dem Underground, abseits der Star-Posen, der glatten Oberflächen und Rekordpreise.

Warhol selbst hatte größten Anteil daran, sein Image aufzubauen und Uneindeutigkeiten aus dem Weg zu räumen. Der nüchterne Auftaktsaal der von Marianne Dobner kuratierten Schau blickt aber auf das zerfranste Frühwerk, das Warhol ab 1962 nicht mehr zeigen wollte: In den 1950ern, in denen sich der Sohn slowakischer Einwanderer auch als Werbegrafiker und Schaufensterdekorateur verdingte, experimentierte er mit grafischen Techniken wie marmorierten Papieren, Goldauflagen oder der „Blotted Line“ – einer Abklatschtechnik, bei der der Künstler auf wasserabweisendem Papier zeichnete und die Tinte dann auf saugfähigerem Material abdruckte.

Warhols witzige Schuh-Porträts („A la recherche du shoe perdu“, hier in ihrer Gesamtheit zu sehen und das Ttelbild des Artikels) sind aus jener Zeit geläufig. Weniger oft gezeigt wurden die Bildnisse junger Männer, deren Penisse Warhol gleich mitporträtierte: Homoerotik kommt hier direkt und ungeschliffen zum Ausdruck. Über die Verbindung zum flamboyanten Werk des Wieners Federico Berzeviczy-Pallavicini, der zu jener Zeit in New York arbeitete und später die Wiener Konditorei Demel übernahm, ist noch zu wenig bekannt – Fakt ist, dass Warhol seine Arbeiten schätzte.

Genau konzipiert

Als Warhol mit seinen Suppendosen-Drucken 1962 zu jenem Pop-Künstler wurde, den wir heute kennen, war er ebenso viel Bilderfinder wie Ausstellungsgestalter: Diese Grundthese der mumok-Schau wird entlang mehrerer Stationen schlüssig belegt.

Während die „Campbell’s Soup Cans“ an einer durchgehenden Leiste wie in einem Regal aufgereiht wurden, verweigerte Warhol 1966 den Warencharakter seiner Kunst: Eine Kuh-Tapete und silbrig schimmernde Ballons („Silver Clouds“), die in der Wiener Schau mit Lizenz reproduziert werden, machten gerade das Nicht-Fassbare zum Thema. Ebenso die „Shadow Paintings“, großformatig reproduzierte Abbilder von Schatten aus den 1970ern.

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Die mumok-Schau räumt dazu Warhols Filmen breiten Raum ein. Auch sie sind Monumente des schwer Fassbaren: „Sleep“, „Eat“, „Kiss“, zeigen die genannten Aktionen, „Blow Job“ eine Reaktion auf das im Titel Genannte, „Empire“ den berühmten Wolkenkratzer, jeweils über ausgedehnte Zeiträume und mit einem Soundtrack aus aktuellen Radioprogrammen versehen. Die Beiläufigkeit, mit der Warhol diese Werke präsentierte, nimmt man ihm nicht ganz ab. Ein in amerikanischer Kunstwolle gewaschener Betrachter erkennt durchaus klare Signale, dass Warhol am Diskurs um die Auflösung des Bild- und Skulpturbegriffs zu jener Zeit bewusst teilnahm.

Kein Pop-Mischmasch

Doch auch wenn Warhol schlicht Bilder produzierte, war es kaum jemals das bunte Pop-Mischmasch, das wir aus diversen Überblicksausstellungen kennen: Seine Bildserien waren stets in sich abgeschlossen, ihre Präsentation war genau kalkuliert. Als lustiges spätes Beispiel rekonstruiert das mumok die Ausstellung, die Warhol 1983 für die Kinder des Galeristen Bruno Bischofberger in Zürich realisierte – mit Fischtapete und niedrig gehängten Siebdruck-Bildern populärer Spielzeuge.

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Weniger harmlos sind die expliziten Bilder von schwulem Sex in der Serie „Sex Parts“ (1975). Bildserien über junge Männer, aber auch die Reihe „Ladies & Gentlemen“ mit Drag Queens rufen die Wurzeln in New Yorker Underground-Zirkeln in Erinnerung, die Warhols Werk auf dem Weg zur Hochpreis-Kunstaktie nach und nach abgebürstet wurden.

Ruppig und fransig war auch die Präsentation historischer Werke, mit der die Rhode Island School of Design Warhol 1969/70 beauftragte. Der Versuch, die Aktion „Raid The Icebox“ mit Depotstücken des Weltmuseums und der KHM-Antikensammlung nachzuempfinden, wirkt im mumok allerdings uninspiriert. Wer mehr Kontext erfahren möchte, sollte sich die ergänzende Schau „misfitting together“ ansehen, die das serielle Prinzip, das die Kunst zu Warhols Zeit bestimmte, mit Werken der Sammlung nachvollzieht.