Von radikaler Überwachung - und ihrer Zerbrechlichkeit
Von Karl Oberascher
Wer kontrolliert uns Bürger? Der Staat? Die Medien? Oder gar wir selbst? Fragen, die in Zeiten von NSA und Big-Data immer komplexer werden. Die Ausstellung "Das System, das nichts ertragen kann", die am Mittwoch im West 46 eröffnet wird, gibt eine eigene Antwort.
"Zum einen wollten wir die Repression deutlich machen, die wir Menschen mittlerweile erfahren", erklärt Kurator Günther Brandstetter im Gespräch mit dem KURIER. "Zum anderen werfen wir aber auch die Frage auf, inwiefern die Kontrollfunktion nicht längst auch von uns selbst ausgeführt wird."
Denn wenn Menschen auf Facebook ihre Familienalben posten, reicht die Überwachung in den ureigensten privaten Bereich - und das aus freien Stücken. "Bewusst ist sich dessen kaum jemand", ist sich der Linzer Fotokünstler und Kommunikationswissenschaftler sicher. "Wir überwachen uns längst selbst."
Bilder der Ausstellung
Wie zum Beweis hat sich Brandstetter in seiner eigenen Fotoserie "Verdächtig", die neben den Arbeiten von Tatiana Lecomte, Willy Puchner und des Künstlerkollektivs "die Trude", im West 46 zu sehen sein werden, selbst auf einem Fahndungsfoto abgelichtet. Ausgangspunkt für die verteilige Serie war das Anfang 2010 aktualisierte Phantombild Osama bin Ladens durch das FBI. Das "neue", digital simulierte Foto sollte den Al-Kaida-Führer so zeigen, wie er in der Vorstellung der Ermittler zwölf Jahre später aussehen könnte.
Die FBI-Techniker benutzten für das Fahndungsbild allerdings Abbildungen vom Haupthaar und der Stirnpartie des spanischen Parlamentsabgeordneten Gaspar Llamazares, indem sie diese von einem Foto des Politikers per Photoshop in das alte Porträt von Bin Laden „integrierten“. Ein FBI-Sprecher rechtfertigte sich, ein Techniker habe bei der Suche nach passenden Gesichtselementen auf die Suchmaschine "Google" zurückgegriffen und sei dort rein zufällig auf ein Bild von Llamazares gestoßen.
Breites Spektrum
Darüber hinaus beleuchtet "Das System, das nichts ertragen kann" anhand von drei weiteren künstlerischen Positionen das Ausmaß der Überwachung. Von der Serie "Unterdrückung, Bevormundung und Abhängigkeiten" von Willy Puchner, das etwa ein Gefängnis in Guatemala zeigt, über "Ich wollte hinaus in den Garten…" des Künstlerkollektivs "die Trude" bis hin Tatiana Lecomtes eindrückliche Serie "Album der Versuchung", in der Szenen der Machtausübung und Abhängigkeiten im Mikrokosmos der Zweierbeziehung zu sehen sind, spannt die Ausstellung dabei den Bogen von staatlicher Kontrolle bis hin zur Unterdrückung im Bereich des Privaten.
Im Fokus dabei: Die Anfälligkeit des Systems. Denn auch wenn die Symbole der Macht auf den ersten Blick unantastbar wirken mögen, bei genauerer Betrachtung der Bilder offenbart das System seine Instabilität. Oder wie es Michel Foucault formuliert hat: "Tatsächlich kann das System, in dem wir leben, nichts ertragen. Daher seine radikale Zerbrechlichkeit an jedem Punkt und gleichzeitig seine globale Unterdrückungskraft."
West 46, Westbahnstraße 46, 1070 Wien
Vernissage: 2. April, 19 Uhr
Dauer: 3. bis 11. April;
Öffnungszeiten: Mo. bis Fr. von 17 bis 20 Uhr; Sa. und So. von 14 bis 17 Uhr