Kultur

Dem Musical entronnen

Das Premierenpublikum bescherte Michael Schottenberg einen triumphalen Auftakt seiner vorletzten Spielzeit als Volkstheater-Direktor: Der Jubel wollte gar kein Ende nehmen. Selbst, als der Großteil des Publikums bereits auf dem Weg zum Ausgang war, klatschen einige besonders Ausdauernde die Darsteller noch einmal auf die Bühne zurück.

Gegeben wurde die Dramatisierung von Hans Falladas Wirtschaftskrisen-Roman „ Kleiner Mann, was nun?“ von 1932 in der Inszenierung des bewährten Regisseurs Georg Schmiedleitner: Ein überaus sympathischer Theaterabend. Einwand: Möglicherweise ein wenig zu sympathisch.

Falladas Roman erzählt einerseits vom Überlebenskampf des jungen Berliner Paares Johannes und Emma „LämmchenPinneberg, das mit immer weniger Geld versucht, sich und den gemeinsamen Sohn, den „Murkel“, durchzubringen. Und er erzählt andererseits von einer Liebe, die sich als stärker erweist als Arbeitslosigkeit, Demütigungen, Hunger und Hoffnungslosigkeit.

Vor allem im ersten Teil des knapp drei Stunden dauernden Abends interessierte sich Schmiedleitner wesentlich mehr für die Liebesgeschichte, als für die Mechanismen eines gerade in Krisenzeiten hemmungslosen Systems, in dem der einzelne Mensch völlig irrelevant wird. Das Ergebnis ist eine hoch anständig gespielte, aber naiv wirkende Sozialschmonzette, die eher ereignisarm dahinplätschert. Motto: Liebe und Hoffnung sind stärker als das Böse. Fehlte gerade noch, dass Disney einen Zeichentrickfilm daraus macht, mit Songs von Elton John, Liza Minelli und, für den österreichischen Markt, Rainhard Fendrich.

Aber zum Glück stammt die Musik hier von den fantastischen Sofa Surfers, und deren sperrige, taumelnde, entfernt an Kurt Weill erinnernde Songs retten Teil eins vor dem Abgleiten ins Musical.

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Die Verhältnisse

Im zweiten Teil ändert sich die Stimmung: Die „Verhältnisse“, von denen schon Brecht schrieb, zermahlen das junge Paar langsam, aber sicher. Johannes Pinneberg kann sich noch so devot unterwerfen, er wird dennoch erniedrigt und entlassen. Seine Frau flüchtet sich in Fantasien, sie rechnet sich die Finger wund, um nicht existente Geldsummen für ein wenig Essen zu finden.

Jetzt wird die Inszenierung scharf und gnadenlos und sehr gut. Schmiedleitner verweigert Johannes und Lämmchen auch das kleine Happy End des Romans: Eines Tages verschwindet er und kommt, anders als im Buch, nicht mehr zurück.

Patrick O. Beck und Hanna Binder spielen das Paar im Rahmen des Regiekonzepts ausgezeichnet. Ereignis des Abends sind Susa Meyer als Pinnebergs versoffene (Puff)-Mutter, die im Existenzkampf auf niemanden Rücksicht nimmt, und Günter Franzmeier als Gauner mit Herz. Das übrige Ensemble schlägt sich sehr, sehr gut.

Musik

Die Sofa SurfersMichael Holzgruber, Wolfgang Frisch, Markus Kienzl und Wolfgang Schlögl – wurden bereits erwähnt: Die von ihnen live gespielte Bühnenmusik ist ausgezeichnet. Es lohnt sich, die regulären Alben dieser großartigen, sich jeder Einordnung widersetzenden Band zu entdecken.

Stefan Brandtmayrs sich unablässig drehende Bühne vermittelt sehr schön die Beengtheit des Lebens am Rande der Existenz, nimmt den Darstellern aber auch den Raum zum Spielen.

Bei aller verständlichen Vorsicht gegenüber „Aktualisierungen“ bleibt doch unklar, warum Schmiedleitner die Parallelen zwischen der damaligen und der heutigen Krisen-Systematik so völlig ausblendet.

Fazit: In der Krise

Buch: Falladas RomanKleiner Mann, was nun?“ beschreibt akribisch den Existenzkampf in der Wirtschaftskrise der 1920/1930er-Jahre.

Stück: Georg Schmiedleitner und Susanne Abbrederis erstellten eine sehr clevere Bühnenfassung.

Inszenierung: Teilweise zu harmlos.

Spiel: Sehr stark.

KURIER-Wertung: