Volkstheater Wien: Provokationsversuch mit Judenwitzen
Von Thomas Trenkler
Ende August lud das Volkstheater zu einem „Kamingespräch“ ein. Denn Direktorin Anna Badora hätte für William Shakespeares Stück „Der Kaufmann von Venedig“ einen ungewöhnlichen Zugang gewählt: Für die Rolle des Shylock stünden nach einer Vorstellungsrunde drei Ensemblemitglieder, Rainer Galke, Anja Herden und Sebastian Pass, zur Wahl. „Wir rechnen damit, dass diese Inszenierungsidee (,Das Publikum wählt seinen Juden’) in Wien einige Kontroversen auslösen kann.“ In Wien!
Nach der samstägigen Premiere lässt sich sagen: Nice try! Die rasante, vom italienischen Fernsehen inspirierte Show (mit der Verlagerung weg vom Großhändler Antonio hin zum Geldverleiher Shylock) ist ein wirklich billiger Versuch, Aufmerksamkeit zu erheischen, Unfrieden zu stiften und Gräben aufzureißen. Denn Badora decouvriert nicht Klischees, sondern bedient sie – mit einer Lust, dass einem schlecht werden kann.
Es beginnt schon damit, dass man nicht recht weiß, ob nun der Schauspieler zur Wahl steht – oder die verkörperte Figur. Jan Thümer als greller Moderator motiviert die Fans von Rainer Galke. Bei den anderen beiden Darstellern geht es hingegen um Zuschreibungen: Der eine Shylock sei ein „Jude aus Wien“; und weil dieser natürlich ein orthodoxer Jude sein muss, trägt Sebastian Pass wunderschön gedrehte Beikeles.
Dass er nicht die meiste Zustimmung erhalten würde, war klar. Nicht, weil das Publikum antisemitisch eingestellt gewesen wäre (und daher keinen orthodoxen Juden sehen will), sondern weil man die Geschichte des von den Christen erniedrigten Shylock kennt. Wer würde sich vorwerfen lassen wollen, sich am Schicksal des Klischeejuden zu begeilen?
Zur Wahl genötigt
Bedenklich ist zudem, dass Badora ihr Publikum zur „Selektion“ mehr oder weniger nötigte. Denn es hatte mit Applauslautstärke zu entscheiden – sofern die Messung (ohne Notar) kein Fake war. Wir sind ja im Theater. Und da gehören die Manipulation und der Trick mit zum Spiel.
Die Abstimmung gewann aber auch Rainer Galke nicht. Zum Trost durfte er, ausgestattet mit Sarkasmus und Macho-Überheblichkeit, den Titelhelden spielen.
Die Wahl fiel auf Anja Herden. Badora gelang mithin eine Potenzierung hoch drei: Ihr Shylock war nicht nur jüdisch, sondern auch weiblich und dunkelhäutig.
Herden hat die „erfolgreiche Geschäftsfrau mit Migrationshintergrund“ als Kettenraucherin (auch so ein Klischee!) zu spielen; überzeugend macht sie klar, dass die Bankerin sich nicht alle Beleidigungen der rassistischen, frauenfeindlichen und übergriffigen Männer, die nur im Rudel (mit Horrorfratzen) stark sind, gefallen lassen will. Daher verlangt sie das Pfund Menschenfleisch, das ihr vertragsgemäß zusteht. Natürlich leiden wir mit, wenn das Recht mit absurden Argumenten gebeugt wird, nur um sie – tatsächlich – in die Knie zu zwingen.
Zuvor hatte es nochmals eine Applausometerwahl gegeben. Galke wie auch Pass (als orthodoxer Jude) erhielten 88 Punkte – und „88“ steht in der rechtsradikalen Szene für „Heil Hitler“. Demokratie sei nicht einfach, gerade in Österreich, kommentierte Thümer, ein Hamburger.
Herden machte erneut das Rennen. Trotzdem blieb die Beziehung zwischen Mutter Shylock und Tochter Jessica unklar. Und warum wirft diese sich dem Kotzbrocken Lorenzo, der sie „Schnittchen“ ruft, an den Hals?
Es gibt noch weitere offene Fragen: Warum wählte Thilo Reuther als Szenerie ein rotierendes Casino? Und wie funktioniert das Glücksrad in der Fernsehshow „Gioco d’Amore“ genau, in der kahlköpfige Hohlköpfe die Millionärstochter Portia gewinnen können? Badora drischt immerzu mit dem Holzhammer ein. Da wächst kein Haar mehr. Die Botschaft: Männer und Christen sind Schweine. Ja, eh. Wer öde Juden- und Blondinenwitze hören will, wird bestens bedient.
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