"Vergesst die Farben!" Claudio Magris wird 80
Von Peter Pisa
Claudio Magris (Bild oben) aus Triest, hoffentlich ein kommender Literatur-Nobelpreisträger, fotografiert seine „Schnappschüsse“ mit der Sprache.
Nun sind Kolumnen, Kommentare – kurze Texte in Buchform seit Kriegsende alles andere als gut verkäuflich. Bei Schriftstellern wie Magrisr braucht aber wirklich niemand das Gefühl haben, dass man etwas Größeres versäumt, wenn man sich dem Kleinen widmet.
Jessas, 80 wird Claudio Magris am 10.April!
Im Wirtshaus
Ein Bild wie: eine tote Taube auf der Straße und andere Tauben, die sich anstellen, um vom toten Kollegen etwas herauszupicken, auch die Augen (und sich brav wieder anstellen, auf ein Neues) ...
... so etwas bleibt länger haften als manch langer Roman. Oder bloß die Aufschrift auf einer Hauswand: VERGESST die Farben!
Claudio Magris beobachtet in den 48 Texten ja nicht nur, er denkt auch sozusagen öffentlich nach. Vergesst die Farben:Was kann gemeint sein? Vielleicht, dass Schwarz-Weiß besser zu unserem grauen Leben passt.
In den Niederlanden ist das anders. Bücher mit Simon Carmiggelts Kolumnen, zuerst über Jahrzehnte täglich in der Zeitung Het Parool erschienen, gibt es nicht nur in Büchern, sondern in Leder gebundenen Büchern. Im TV las Carmiggelt ( 1987) regelmäßig vor. Ein Flaneur in Amsterdam, vor allem im Wirtshaus findet er die ganze Welt. Zum ersten Mal wurde jetzt eine Sammlung übersetzt: „Auf ein Gläschen“, Unionsverlag, 18,60 Euro
Zitat: „In der Kneipe sprachen sie in dem lockeren Plauderton, der sich nach einigen Gläsern einstellt, über Frans. Er war ins Krankenhaus gekommen. „Vollkommen hinüber“, sagte ein beträchtlich kahlköpfiger Mann, der ganz in mit Lederborten besetzten Drillich gekleidet war. „Er erkennt seine eigene Frau nicht mehr ...“
I-Phone
Claudo Magris ist mit seinen Geschichten nicht weit weg Er beobachtet ein Ehepaar im Gasthaus, das nichts miteinander redet. Jeder hantiert mit seinem I-Phone. Magris geht aber ein, zwei Schritte weiter als Carmiggelt, er schiebt seine Gedanken im Raum hin und her: „Warum soll das schweigende Beisammensein immer ein Zeichen von Gefühlskälte und Abwesenheit sein?“
Die Frau streicht ihrem Mann leicht über den Arm.
Na bitte.
Claudio
Magris: „Schnappschüsse“
Übersetzt von Ragni Maria Gschwend.
Hanser Verlag.
192 Seiten.
20,60 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern