Kultur

Venedig: Berührende Tragikomödie mit Puppen

Das Gedränge auf dem Lido wird spürbar weniger, die Massen in den Kinos beginnen sich zu lichten. Ein Teil des internationalen Festivaltrosses zieht bereits weiter – Richtung Toronto, wo am Donnerstag das große Konkurrenzfilmfestival beginnt.

Nachdem sich der Wettbewerb bislang – und mit einigen Ausnahmen wie die Filme von Aleksander Sokurov oder Amois Gitai – eher zäh gestaltet hatte, sorgte besonders der jüngste US-Beitrag für Begeisterung: "Anomalisa", der erste Animationsfilm von Charlie Kaufman, wird jetzt schon als "zukünftiger Klassiker" und potentieller Oscar-Film gehandelt. Kaufman – Mastermind von genialen Filmdrehbüchern wie "Being John Malkovich" oder "Vergiß mein nicht!" – tat sich mit Stop-Motion-Fachman Duke Johnson zusammen und produzierte eine berührend-witzige Tragikomödie mit von Hand animierten Puppen.

Fast echt

Einerseits haben Kaufmans Puppen den Charme von Vintage-Marionetten: In ihren Gesichtern sieht man die Naht, die den Kopf zusammenhält. Gleichzeitig aber wirken sie relativ realistisch und lassen manchmal fast vergessen, dass es sich um Puppen handelt (etwa während einer Sex-Szene, die dem Film ein R-Rating bescherte). Im Mittelpunkt steht Michael Stone, Autor eines Bestsellers zum Thema "Kundenservice" (!), der unter dem "Fregoli-Syndrom" leidet: Die Menschen seiner Umgebung erscheinen ihm alle gleich, ebenso deren Stimmen. Stone wird von dem britischen Schauspieler David Thewlis gesprochen, alle anderen Figuren, egal ob Männer oder Frauen, von Tom Noonan. Während einer Geschäftsreise lernt Stone Lisa kennen (gesprochen von Jennifer Jason Leigh), deren Stimme anders klingt. Er verliebt sich auf Anhieb.

Er habe sich für die Stop-Motion-Animation entschieden, weil sich die Krankheit von Michael, alle Menschen ident wahrzunehmen, mit Puppen besser darstellen lasse, erklärte Kaufman. "Mehr sage ich dazu aber nicht. Ich mag es nicht, meine eigenen Filme zu interpretieren."

Nur noch so viel: Die Idee zum Kundenservice sei ihm gekommen, weil er selbst jahrelang im Telefon-Service gearbeitet und alle Anrufer gehasst habe, erzählt der 56-jährige Neurosenspezialist Kaufman: "Doch kürzlich habe ich ganz bewusst mit einem Vertreter vom Kundendienst ein Gespräch angefangen. Erst war er ganz überrascht, aber am Ende haben wir 25 Minuten geplaudert – über Sport, das Wetter – einfach alles. Es war eine tolle Erfahrung. Ich hoffe nur, sie haben ihn nicht gefeuert."