Kultur

Im Unterbauch der Gesellschaft

Es war vorauszusehen, dass Ulrich Seidl in Österreichs Kellern nicht nur Modelleisenbahnen und Bügelwäsche findet. Stattdessen förderte der "Guru des Grotesken", wie ihn ein US-Kritiker bewundernd nannte, radikale, manchmal tragikomische Bilder aus dem Unterbauch unserer Gesellschaft zutage.

Bilder von Menschen, die unterirdisch Arien singen und auf Pappfiguren schießen. Die sich an Geschlechtsteilen aufhängen lassen und dabei Lust empfinden. Und die mit den Kollegen von der Blasmusik vor einem Hitler-Bild sitzen, sexistische Witze reißen und sich dabei massiv alkoholisieren.

Speziell die "Nazi-Keller"-Szene sorgte in den vergangenen Tagen nun für jenen medialen Aufreger, der bei der Premiere in Venedig ausgeblieben war (siehe dazu diesen Bericht). Die Vorwürfe der Beteiligten, als bezahlte Komparsen gegen ihr Wissen inszeniert worden zu sein, wurden von Seidl glaubhaft zurückgewiesen. Zwar ist er ein Regisseur, der – wie er sagt – "aus der Wirklichkeit schöpft" und diese auch künstlerisch zuspitzt; doch gerade besagter Keller als Treffpunkt war offenbar ortsbekannt.

Sauf-Folklore

Das Alarmierende ist die beispiellose Selbstverständlichkeit, mit der sich die Musikanten zwischen Hitler-Bild und Nazi-Fahne pudelwohl fühlen. Für den Keller-Dekorateur Josef Ochs bedeutete das Bild ohnehin sein "schönstes Hochzeitsgeschenk". Auch den anderen ist es sichtlich egal, was dort, wo sie trinken, an der Wand hängt: Sauf-Folklore im Nazi-Ambiente stört niemanden.

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Trotzdem zählt zu der vielleicht eindrücklichsten, weil unheimlichsten Szenenfolge jene mit der netten, älteren Dame und ihren Babypuppen: Wir beobachten die Frau dabei, wie sie verschiedene Schachteln öffnet, täuschend echt aussehende Reborn-Puppen herausholt und mit unheimlicher Hingabe herzt ("Mein Zuckermäuschen, hier ist die Mama").

Gerade diese Szenen wurden übrigens tatsächlich – mit Einverständnis der Protagonistin – nachinszeniert, weil die Betroffene ihre (einzige) Puppe nicht im Keller aufbewahrt. Die irritierende Zärtlichkeit der älteren Frau zu ihrem Plastikkind schafft eine Intensität, die man fast körperlich spürt: Als würde man vom Schicksal eines anderen Menschen berührt werden – im wahrsten Sinn des Wortes. Jedoch gegen Ende des Filmes häufen sich die Besuche in sadomasochistische Sexkeller und verschieben den Erzählrhythmus. Das ist fast ein bisschen schade, weil eine Spur zu erwartbar.

Wo sich in der Trilogie der "Paradies"-Spielfilme – vor allem in "Paradies: Hoffnung" – Räume öffneten, verschließen sich hier die Bilder wieder. In toll komponierten Tableaux fixiert Ulrich Seidl seine Protagonisten neben ihren Waschmaschinen, im Drogenrausch oder auf dem SM-Foltersessel.

"Im Keller" endet mit einer Frau im Käfig.

Wir haben uns schon mal freier gefühlt.

INFO: "Im Keller". Spiel-Doku. Ö 2014. 85 Minuten. Von Ulrich Seidl. Mit Alfreda Klebinger, Josef Ochs.

KURIER-Wertung:

Erbarmungsloser Blick: Filmemacher Ulrich Seidl

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Tom Schilling kann als grenzgenialer Computer-Hacker überzeugen: Blass genug dafür ist er. Elyas M’Barek, deutscher Star aus "Fack ju Göthe", tritt immer ein bisschen zu kraftmeierisch auf, um ebenfalls als Computer-Genie durchzugehen. Gemeinsam mit Wotan Wilke Möhring bilden ihre Charaktere eine Hacker-Gruppe, die ähnlich wie die berühmten " Anonymous" die verschiedensten Computer-Codes knacken – und schließlich in die Datenbank des deutschen Bundesnachrichtendienstes eindringen.

Regisseur Baran bo Odar inszeniert seinen flotten Computer-Thriller in gelackten, düster-urbanen Berlin-Bildern und lässt seine jungen Protagonisten dem Establishment effektvoll den Finger zeigen. Für die Begegnungen der Hacker im virtuellen Raum findet Odar das Bild eines fiktiven U-Bahn-Waggons: Dort treten sich die Code-Knacker in Masken gegenüber und messen ihre Kräfte. Nach einem Mord überschlagen sich allerdings die Ereignisse – und Spannung schlägt in abstruse Drehbucheinfälle um.

INFO: "Who Am I – Kein System ist sicher". D 2014. Thriller. 105 Min. Von Baran bo Odar. Mit Tom Schilling, E. M’Barek.

KURIER-Wertung:

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Das Begräbnis des Vaters versammelt eine Menge Stars und Halb-Stars auf dem Friedhof: Jane Fonda als Witwe – und Jason Bateman, Tina Fey, Adam Driver und Corey Stoll als ihre Kinder. Im Andenken an den Verstorbenen kehren die Hinterbliebenen nach dem Begräbnis für eine Woche ins Elternhaus zurück und tragen dort ihre familiären Konflikte aus.

Mutter streitet mit Tochter, Bruder mit Schwester, Mann mit Ehefrau – kurz: jeder mit jedem. Unerfüllte Kinderwünsche, geschwisterliche Rivalitäten, Beziehungsknatsch. Ein All-Star-Ensemble in der Familienkrise. Streckenweise fühlt sich das an wie eine lange Sitcom, in der alle Mitspieler der Reihe nach schön demokratisch ihre Auftritte absolvieren.

Im Zentrum steht Jason Bateman als Vorzeigesohn, der seine gescheiterte Ehe vor der aufdringlichen Mutter geheimhalten möchte. Jane Fonda mit frisch operiertem Busen denkt aber gar nicht daran, ihre Kinder zu schonen und erzählt mit Vorliebe aus ihrem Sex-Leben. Tina Fey als große Schwester quält alle damit, sich endlich "auszusprechen". Das alles führt zu einer großen Menge wirklich witziger Situationskomik, aber zu einer noch viel größeren Menge an klebrigem Versöhnungskitsch.

INFO: "Sieben verdammt lange Tage". Tragikomödie. USA 2014. 103 Min. Von Shawn Levy. Mit Jason Bateman, Jane Fonda.

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Ein Sommer in der Provence

Tragikomödie Jean Reno spielt einen Großvater auf dem Land, der überraschend Enkelbesuch erhält. Noch dazu sind die Sommerferien lang, und es dauert nicht lange, bis die unterschiedlichen Generationen aufeinander prallen. Gefühlskino vor malerischem Hintergrund.

Der 7bte Zwerg (3D)

Animation Auf Schloss Fantabularasa herrscht große Aufregung, weil die schöne Prinzessin Rose knapp vor ihrem 18. Geburtstag steht. Bis Mitternacht muss sie noch heil bleiben – denn wenn sie sich bis dahin verletzt, fällt das ganze Schloss in einen hundertjährigen Tiefschlaf. Die böse Eisfee Dellamorta schleicht sich auf das Geburtstagsfest, um doch noch den Fluch zu erfüllen. Kinderfreundliches Zipfelmützenabenteuer mit den Stimmen von Otto Waalkes und Nina Hagen.

Walking on Sunshine

Musical Eine lebenslustige Britin verliebt sich im schönen italienischen Apulien in einen heißblütigen Mann, den sie umgehend heiraten möchte. Ihre Schwester reist an und erkennt im zukünftgen Schwager einen Ex-Liebhaber. Großes Gefühlschaos bricht aus. Ein sogenanntes Jukebox-Musical mit vielen Hits aus den 80er-Jahren.

Tanja – Life in Movement

Doku Dokumentarfilm über die Tänzerin und Choreografin Tanja Liedtke, die überraschend im Alter von nur 29 Jahren verstarb.

Attention – A Life in Extremes

DokuÖsterreichische Doku über drei Extremsportler: Sascha Köllnreitner geht kritisch der Frage nach, was die Faszination des Hochleistungsextremsports für diese Grenzgänger ausmacht.