Kultur

Trojanow: Sauerstoff für die Demokratie

Es ist immer unangenehm, wenn Ilija Trojanow schreibt. Er will etwas von uns. Will uns sagen: Alles ist miteinander verbunden, alles sitzt in einem Netz. Wenn man einen einzelnen Faden beschädigt ...

Aber wir? Ärgern uns lieber über Wespen. Als ob die unser Netz zerreißen!
Der weit gereiste 46-jährige Trojanow mit Wohnsitz Wien (aber mit vielen Heimaten) ist wütend.

Im Roman "Eistau" (Eis und Tau) zieht sich der Glaziologe Zeno Hintermeier als Uniprofessor zurück, weil er an "seinem" sterbenden Alpengletscher verzweifelt. Überreden lässt er sich, 280 Touristen auf einem Schiff in die Antarktis zu begleiten.
Er rastet aus, als ein chilenischer Soldat im ewigen Eis mitten durch die brütende Pinguinmenge marschiert und einen Tschick wegwirft.
Er rastet ein letztes Mal aus, als ein Künstler in der Antarktis (mit der Antarkis) Klamauk treiben will.

Boxer sollten keine Wut im Bauch haben. Trojanow soll. Er behält die Sprache im Griff. Er gibt dem Eis viele Farben. Und Leben.

KURIER-Wertung: ****
* von *****

Trojanow im KURIER-Interview

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Der KURIER erreichte ihn in den bulgarischen Rhodopen. Während des Interviews heulten Wölfe auf der Flucht vor Waldbränden.

KURIER: So zornig haben Sie noch nie geschrieben.
Ilija Trojanow: Stimmt. Aber es ist auch die Verzweiflung vieler der Menschen in Zenos Position, insofern also durchaus
lebensnah.

"Zenos Position" - das betrifft nicht nur Gletscherforscher .
Es geht um unsere Haltung zur Natur. Die herrschende räuberische Zerstörung kann nicht Grundlage für die Zukunft sein. Das spüren und wissen viele, andererseits sind wir fast alle von der Natur mehr oder weniger entfremdet. Dieser Zwiespalt ist das Thema.

Man kennt sich nicht mehr aus. "profil" zitiert den Klimaforscher Wolfgang Schöner: "Die Ausmaße der Eisschmelze bewegen sich im Rahmen der vergangenen 10.000 Jahre." Na dann ...
Das Gletscherschmelzen ist in meinem Roman ein Symbol, eine Metapher. Dass weltweit die Eisflächen rapide abnehmen, vor allem in der Arktis, aber auch in Regionen, die besiedelt sind, wie etwa im Himalaja, stellt kein Wissenschaftler infrage. Wie sehr man davon betroffen ist, bleibt dem subjektiven Empfinden überlassen. Allerdings ist Zweckoptimismus einer unserer toten Winkel.

Sie plädieren für mehr Widerstand der Naturschützer. Darf's denn ein bissl Gewalt sein?

Macht ohne Widerstand wird zu Allmacht, mit anderen Worten: Widerstand ist der Sauerstoff einer wirklichen Demokratie. Widerstand als Einspruch, als Verweigerung und als Infragestellung der institutionalisierten Gewalt, denn wir leben in einer gewalttätigen Welt. Die Frage ist ja stets, welche Gewalt gilt als legitim (etwa der Einmarsch in Afghanistan
oder das Morden der US-amerikanischen Drohnen in Pakistan), und welche gilt als verwerflich, etwa ziviler Ungehorsam.

Die haben Pinguine verheizt! Ist gar nicht lange her. Die Walfänger heizten mit Pinguinen ihre Öfen. Man darf bei dem Gedanken auszucken; und diesen unangenehmen, wahrhaftigen Trojanow lesen; und dann ... auf die Katastrophen warten?