Kultur

Sogar der Papst ist sein Fürsprecher

Seit Jahrzehnten begeistert Toni Servillo das europäische Publikum als Theater- und Filmdarsteller, ja sogar als Opernregisseur. Und als Hauptdarsteller des Oscar-gekrönten Films "La Grande Bellezza" reüssierte er jüngst auch in Hollywood. Seither spielt Servillo wieder in ausverkauften Häusern mit seiner hinreißenden Theater-Compagnie – zurzeit im Londoner Barbican Theatre. Für seine Doppelrolle in der Polit-Satire "Viva la Libertá" ("Es lebe die Freiheit") wurde Servillo als "Bester Hauptdarsteller" mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. "Viva la Libertá" ist ab 4. April auch in österreichischen Kinos zu sehen.

KURIER: In der Polit-Satire "Viva la Libertá" spielen Sie den oppositionellen Parteichef Enrico in einer tiefen Existenz- und Politkrise und auch seinen angeblich irren Bruder, den Professor Ernani ...

Toni Servillo: Ja, die Handlung des Films enthält den uralten dramaturgischen Mechanismus der untereinander austauschbaren Zwillinge – denken wir nur an Kleist, Goldoni oder Shakespeare. Wobei der intellektuelle Professor Ernani, der für seinen Bruder als Politiker einspringt, in der Tat nicht irre ist. Er leidet an einer bipolaren Störung, dem Wechsel zwischen Depression und Euphorie.

Betrachten Sie diesen Film als Spiegel der aktuellen gesellschaftlichen Lage, einer Politik ohne Inhalte?

Ich weiß nicht, ob es nur der Mangel an Inhalten ist. Gewiss greift der Film viele Elemente aus dem allgemeinen Unbehagen der Menschen gegenüber der politischen Lage und den Politikern auf. Der Professor ist als Einspringer für seinen Bruder unter anderem ja deshalb so erfolgreich, weil er sich einer ganz konkreten Sprache bedient und vor allem ein lebensnahes Image der Politik vermittelt. Denn eines der Probleme in der Realität rührt daher, dass sich Politiker ohne konkrete Angaben so präsentieren, als hätten Sie für alles eine Lösung bereit.

Dennoch wirkt der Film auch amüsant, nicht bedrückend.

Das rührt daher, dass er quasi wie ein Märchen erzählt wird, keine bedrückenden Botschaften enthält und dabei – wie alle leichtfüßigen intelligenten Werke – vielerlei Möglichkeiten der Interpretation offenlässt. Der Film war daher in Italien beim Publikum gleich sehr erfolgreich. Abgesehen davon, dass Papst Francesco seinem Interviewer Eugenio Scalfari, dem Gründer der großen Tageszeitung La Repubblica, empfohlen hat, "Viva la Libertà" anzusehen.

Originaltrailer (deutsche Fassung noch nicht verfügbar)

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Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit dem Autor und Regisseur Roberto Andò verlaufen? Konnten Sie viele Ihrer Ideen einbringen?

Das Wort "Ideen" erscheint mir ein bisschen übertrieben, weil ich mich beim Film mit großer Disziplin meiner Aufgabe des Darstellens widme. Aber da ich mir die Filme aussuchen kann, in denen ich mitwirke, rede ich natürlich mit dem Regisseur über die Modalitäten des Drehs. Bei "Viva la Libertà" hatte ich vorgeschlagen, zuerst alle Szenen als Ernani und danach die als Enrico zu drehen. Um damit in der Darstellung der beiden unterschiedlichen Charaktere eine Tendenz zum Outrieren zu vermeiden.

Gegen Ende des Films kommt es aber zu einer subtilen Annäherung der beiden Charaktere.

Ja, im Laufe der Dreharbeiten haben wir uns darauf geeinigt, durch diese Annäherung das Finale offenzulassen. Denn das ermöglicht unter anderem auch die Interpretation, es handle sich bei den Brüdern um ein und dieselbe Person.

Der Schwerpunkt Ihrer Karriere liegt bisher beim Theater, wo sie sich durchwegs auch der Regiearbeit widmen. Wie erleben Sie als Schauspieler Dreharbeiten?

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AmTheater ist es der Schauspieler, der dem Publikum die Inhalte vermittelt. Er ist derjenige, der da oben steht und zu mir Zuschauer redet. Daher trägt der Schauspieler – in meinem Fall der Schauspieler und Regisseur – letztlich die Verantwortung für die Beziehung zum Publikum. BeimFilm hingegen ist es der Regisseur, der mit dem Publikum einen Dialog aufnimmt, auch bei großartigerFotografie, Besetzung und anderem. Aus diesem Grund wähle ich Regisseure mit Sorgfalt aus, so wie ich das mit Dramaturgen am Theater mache. Das heißt, ich bin kein Filmschauspieler, der sich wie ein Söldner verkauft.

Sie haben auch an großen Opernhäusern Regie geführt – "Fidelio", "Le Nozze di Figaro", "Boris Godunow" ...

Ja, und vor meiner Regiearbeit zu "Fidelio" 2005 war ich im Sommer mit meiner Familie auf Urlaub in Wien und habe eine "Fidelio"-Aufführung im Theater an der Wien erlebt. Aber nicht nur, um zu schauen, wie die Inszenierung ist: Das war für mich auch eine Art Glücksbringer, weil doch dort "Fidelio" zur Welt gekommen ist!

Weitere Opernprojekte?

Ich hatte das Glück, ein Dutzend Opern in Szene zu setzen, aber seit sich meine Theater- und Filmarbeit intensiviert hat, musste ich mit der Opernregie aufhören. Denn dafür ist viel Vorbereitungszeit nötig, die ich leider nicht mehr habe.

Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie für den italienischen Film – abseits der kommerziellen Komödchen?

Gewiss ist der italienische Film auch von unserer Kulturpolitik betroffen, die seit Jahren generell die Kultur als Budgetproblem sieht, anstatt sie als Investition zu betrachten. Trotz aller großartigen Kulturgüter und Talente, die wir in unserem Land haben. Dennoch vergeht kein Jahr ohne Auszeichnung für einen italienischen Regisseur auf internationaler Ebene.

Kann das auf lange Sicht dem italienischen Film weiterhelfen?

Es ist immerhin eine Stärkung des Vertrauens in den Film. Denn an Kreativität fehlt es ja nicht in Italien.

Werden Sie seit dem Oscar für "La Grande Bellezza" mit Angeboten aus Hollywood überhäuft?

Nein. Schauen Sie, ich glaube – und darauf bin ich stolz –, dass ich im Ausland ein gewisses Image vom italienischen Schauspieler geboten habe. Das Theater ist mein Hauptberuf, ich bin mit 55 kein Jüngling mehr. Daher sehe ich für mich am Horizont keine Hollywood-Karriere. Und das meine ich ganz ohne Überheblichkeit!

Zur Person

Beginn bei Don Bosco Geboren 1959 in Afragola (Provinz Neapel), begann die Karriere von Schauspieler und Regisseur Toni Servillo als Autodidakt bei den Salesianern. Seither arbeitet er beinahe durchgehend am Theater.

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Theater und Oper Im Jahr 1986 schrieb, inszenierte und spielte Servillo – inspiriert von Picassos Werk – den Einakter „Guernica“. Später führte er auch Regie bei großen Theater-Klassikern und Opern, unter anderem am „Teatro La Fenice“ (Venedig), dem „San Carlo“ (Neapel) und am „Teatro Nacional de São Carlos“ in Lissabon.

Filmschauspieler Servillo beeindruckte in zahlreichen Filmen, darunter als Protagonist in Paolo Sorrentinos Oscar-gekröntem „La Grande Bellezza“. Am 4. April kommt „Viva la Libertá“ in unsere Kinos.