Für den "Tanz der Finsternis" muss man nicht alles verstehen
Von Peter Pisa
Dass Österreich von zwei „bösartigen Gnomen wie aus einem schlechten Märchen“ regiert wurde, ist selbstverständlich reine Fiktion.
Eine Studentin denkt sich das im Wien des Jahres 2000 und geht demonstrieren. Jeden Donnerstag.
Der Schriftsteller Thomas Stangl – sonst eher einer, der sich bei Problemen „verkapselt“ – war damals ebenfalls demonstrieren. „Sonst hätte ich mich einfach in meiner Haut nicht mehr wohlgefühlt.“
Euphorie
Ein Moment, in dem die politische Normalität durchbrochen gewesen sei „und alles unsicher schien. Die unmöglichsten Dinge schienen möglich. Einerseits gab es die größten Befürchtungen fürs Land, andererseits hatten die Demonstrationen auch etwas Wunderbares und eine merkwürdige Euphorie in sich.“
Dass sein Roman „Regeln des Tanzes“ so drastisch mit Schüssel und Haider beginnt, passt gar nicht zum Rest: Ruhigen Schrittes wird durch Wien gegangen und die Kunst, der Tanz, zum Widerstand.
Aber es ist kein Fehler, auf diese Weise Leser in die meditative Literatur des 47-Jährigen zu holen, die von Kritikerlob seit Jahren überhäuft wird – „nur“ die Buchkäufer überwinden selten ihre Schwellenangst.
Und versäumen dadurch, wie schön es ist, zwar nicht alles zu verstehen, jedoch viel, viel mehr zu sehen als vorher.
Stangls politische Poesie verfolgt zwei Schwestern, die gemeinsam wohnen – und auseinander gehen: Die eine geht auf die Straße, die andere geht in sich, tanzt als Protest Butoh – japanisches Tanztheater ohne Form: der Tanz der Finsternis, der sich von den Regeln der Gesellschaft verabschiedet und Vergangenes (vielleicht) auslöscht.
Thomas Stangl verwebt die Zeit bzw. löst sie auf:
Denn 15 Jahre später findet ein auf den Sechziger zusteuernder Mann, der wie Cary Grant aussieht, in einer Hausnische eine versteckte Filmdose. Er ist selbst in einer Ausnahmesituation, seine Frau hat ihn verlassen. Die Negative lässt er entwickeln, es sind Fotos der Schwestern aus 2000. Und von einem Grabstein.
Er sucht.
Und tanzt allmählich selbst aus der Reihe.
Was macht man mit einem solchen Roman? Staunen. Daran wachsen. Und ihn umarmen.
Thomas Stangl:Es ist mir wirklich wichtig. Ich finde, auch als Leser (oder Filmzuschauer), die pure Geschichte eher langweilig.
Was ist interessanter?
... was daneben, was dazwischen und auf der Seite ist. Das ist so etwas wie ein „Mehr“, das nicht unbedingt einzuordnen und dessen Bedeutung für die Handlung nicht von vornherein klar ist. Das so etwas wie einen physischen, körperlichen Moment bildet – ich möchte also so etwas wie eine dichte, körperliche (auch gedanklich reflektierte) Wirklichkeit erscheinen lassen. Gerade wenn es auch um Momente aus einer näheren und ferneren Vergangenheit geht. Eine neue, vielleicht „wirklichere“ Wirklichkeit ...
KURIER-Wertung: ***** von *****